Seite - 230 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung in Österreich,
1932–1938230
rungsversuche und dergleichen zur Verfügung hatten und eine Zusammenarbeit mit
Schweidler keine Störung bringen würde.«233
Wiederum folgte damit ein Exner-Schüler auf den anderen, ein Umstand, der sich im
darauf folgenden Jahr an der Universität Graz wiederholte. Nachdem Hans Benndorf
gegen seinen Willen pensioniert worden war, folgte ihm Victor Hess als Institutsvor-
stand.234 Neben Hess waren auch Kohlrausch von der TH Graz und Meitner aus
Berlin als Kandidaten im Gespräch. Gegen Meitners Kandidatur war jedoch »eine ge-
schlossene Mehrheit der Fakultät […] dafür, dass die vorliegende Aufgabe einen Mann
erfordert. Dies ist der einzige Grund, weshalb der Name Lise Meitners im Vorschlag
nicht erscheint, obwohl er an berechtigtem Weltruf den beiden anderen keinesfalls
nachsteht«.235 Die Physikalischen Lehrkanzeln blieben damit vorerst fest in der Hand
der Exner-Schüler. Mit Victor Hess und Erwin Schrödinger gelang es zwei Schülern
der zweiten Generation, sich als ordentliche Professoren an einer österreichischen
Hochschule zu etablieren. Anders als in den frühen 1920er Jahren, als das Senioritäts-
prinzip in den Berufungsverfahren die erste Generation massiv begünstigt hatte, ver-
teilte das Bundesministerium für Unterricht knappe Ressourcen nun zuungunsten der
Älteren, um jüngeren, international anerkannten Kapazitäten den beruflichen Aufent-
halt in Österreich schmackhaft zu machen. So verwendete das Ministerium beispiels-
weise einen Teil der durch die Pensionierung Benndorfs eingesparten Gelder, um
Schrödinger eine Zulage zahlen zu können.236
Die radikalen Sparmaßnahmen der autoritären ständestaatlichen Regierung stellten
die Fortführung der Kernforschung in Wien in Frage ; sie brachten jedoch erstmals
Bewegung in die personellen und institutionellen Strukturen an den Universitäten.
Allerdings gereichte dies der Kernforschung, die in Wien nach wie vor interdisziplinär
und auf mehrere Institute verteilt stattfand, zusätzlich zum Nachteil. Denn genau an
diesem Forschungsfeld, das in der Vergangenheit mehr Ressourcen aus dem In- und
Ausland hatte anziehen können als die meisten anderen Disziplinen in Österreich,
entzündete sich der Streit um die gerechte Verteilung der knappen Mittel.
233 AMPG, III. Abt., Rep. 45 NL Paneth, Nr. 77, 2 ; Bl. 24 : Meyer an Paneth vom 14.7.1935.
234 Benndorf war zum Zeitpunkt seiner Pensionierung 66 Jahre alt und fiel damit in den Geltungsbereich
eines Gesetzes aus dem Jahr 1933, welches das Bundesministerium für Unterricht ermächtigte, Professo-
ren nach dem 65. Lebensjahr jederzeit und, wie im Fall Benndorfs, auch gegen ihren Willen in Pension
zu schicken. Waren Professoren bis dahin in der Regel bis zum 70. Lebensjahr im Amt belassen worden,
so nutzte das Ministerium die Gesetzeslage seit 1933 wiederholt, um zunächst ältere Extraordinarien
und danach Ordinarien in Pension zu schicken. Ihre Stellen wurden aus Kostengründen nicht neu be-
setzt. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 310 : Meyer an Smekal vom 16.5.1934.
235 Zitat bei Höflechner 1994, 74.
236 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 10, Fiche 157 : Meyer an Benndorf vom 19.10.1936.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369