Seite - 232 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung in Österreich,
1932–1938232
Der Rückzug der Rockefellers aus der Kernforschung in Österreich bot dem Minis-
terium ein willkommenes Argument, den Sinn dieses Projektes in Zweifel zu ziehen :
»[D]ie Bedeutung der von den Genannten s[einer]z[ei]t unter werktätiger Beteiligung des
Auslandes begonnenen, dann hierseits mit beträchtlichen finan[ziellen]. Mitteln geförderten
[…] Spezialforschungen [wird] keineswegs verkannt. Werden aber nunmehr nach Aufhören
der ausländischen Subventionen und Austritt des Prof. Dr. Pettersson aus der ›Arbeitsge-
meinschaft‹ für die Fortsetzung der Arbeiten immer höhere Beträge in Anspruch genommen,
[…], so muss sich die auf leider sehr beschränkte Mittel für den Gesamtbereich der
wiss[enschaftlichen]. Lehre und Forschung angewiesene Unterrichtsverwaltung die Frage
vorlegen, ob sie es […] verantworten könnte, sich nach wie vor ernstlich mit den nach Dauer
und Kostenerfordernissen anscheinend sehr weitgehenden Plänen einer Gruppe von For-
schern zu befassen, denen organisationsmässig eine maßgebliche und verantwortliche Beur-
teilung der Bedürfnisse des Hochschulbetriebes, in concreto insbesondere des Betriebes des
Vereinig[ten]. I. und II. Phys[ikalischen]. Institutes nicht zukommt, dies umso weniger, als
die in Rede stehenden Forschungen ein zwar bedeutsames, aber doch nach einer bestimmten
Richtung spezialisiertes Gebiet des Faches umfassen, welches der Vorstand […] der […]
Lehrkanzel zu vertreten hat.«239
Trotz der zunehmend prekären wirtschaftlichen Situation seines Instituts fühlte Meyer
sich an seine Zusage aus den 1920er Jahren gebunden, im Namen des Instituts für
Radiumforschung keine weiteren Förderanträge an die Rockefeller Foundation zu
richten.240 Er hielt sich mit Stellungnahmen und Forderungen zugunsten der Kern-
forschungsgruppe ostentativ zurück, froh darüber, dass die Regierung Dollfuß den
»bolschewistischen Putsch […] glücklich abgeschlagen« hatte.241 Für weitere Interven-
tionen bei Regierungsstellen sei das Präsidium der Akademie zuständig.242 Allerdings
versuchte Meyer, die Interessen seines Instituts indirekt dadurch zu wahren, dass er bei
seinem einstigen Assistenten und nunmehrigen Mitglied des Bundeskulturrates, Victor
Hess, gegen den verhassten Kollegen Felix Ehrenhaft opponierte.243 Auch Egon von
Schweidler, der als Vorstand des Vereinigten I. und II. Physikalischen Instituts kaum
Einblick in die komplexen Finanzierungsstrukturen der Wiener Kernforschung hatte,
unterstützte die Gruppe nur halbherzig.244
239 ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 868/4G : Subventionierung der Ar-
beiten auf dem Gebiete der Atomzertrümmerung vom 23.12.1937.
240 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 307 : Meyer an Schweidler vom 8.2.1935.
241 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 223 : Meyer an Hönigschmid vom 26.2.1934.
242 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 307 : Meyer an Schweidler vom 31.7.1934.
243 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 21, Fiche 345 : Meyer an Hess vom 23.5.1935.
244 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 284 : Pettersson an Meyer vom 6.8.1935.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369