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Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 233
Die Zurückhaltung Meyers und Schweidlers stand im Gegensatz zum offenen Lob-
byismus Marks, der über beste Verbindungen zu Vertretern der chemischen Industrie
Österreichs verfügte. Zu seinem einstigen Arbeitgeber IG Farben pflegte er ebenso gute
Kontakte wie zur Regierung Dollfuß’ und Schuschniggs.245 Mark war über die groß-
technischen Entwicklungen in den europäischen und US-amerikanischen Laborato-
rien durch eigene ausgedehnte Forschungsreisen hervorragend informiert. Er stand
einer interdisziplinären Herangehensweise an seinen Forschungsgegenstand offener
gegenüber als seine Wiener Physikerkollegen und warb seit Mitte der 1930er Jahre
beim Bundesministerium für Unterricht und bei der Industrie offensiv für den Bau
eines Zyklotrons. Mark wandte sich auch an die Rockefeller Foundation, seine For-
schung wurde von deren Unterhändlern jedoch im Hinblick auf die zu fördernden
Lebenswissenschaften nicht als interessant genug angesehen und sein Förderantrag
abgelehnt.246
In Österreich fand sein Gesuch hingegen Gehör, allerdings mahnte das Bundesmi-
nisterium für Unterricht im Dezember 1937, seine Pläne mit dem von Stetter und
Kirsch vorgeschlagenen Projekt abzustimmen. Außerdem sollte eine Kooperation mit
der TH Wien und der Medizinischen Fakultät der Universität Wien angestrebt werden,
die jedoch letztlich nicht zustande kam. Doch das Projekt sollte die verfeindeten Par-
teien an der Universität Wien für kurze Zeit einen : Eine Kommission aus hochrangi-
gen Vertretern der Philosophischen Fakultät, darunter Meyer, Mark, Schweidler und
Ehrenhaft, schlug vor, einen Van-de-Graaff-Generator mit einer Leistung von ein bis
zwei Millionen Volt oder ein Zyklotron anzuschaffen, das von sämtlichen naturwissen-
schaftlichen Instituten der Universität Wien gemeinsam benutzt werden sollte. Öster-
reichische Industrieunternehmen hatten sich zuvor bereit erklärt, ein Drittel der erwar-
teten Kosten von 80.000 bis 100.000 Schilling zu tragen.
Die interne Diskussion über Sinn und Zweck des Geräts, vor allem aber über seine
Kontrolle, dauerte an, worauf die sehr vagen Formulierungen des Kommissionsberich-
tes hindeuten. So mochten die Autoren »Einzelheiten hinsichtlich der Wahl der Me-
thode, des Aufstellungsortes sowie der Art der Inbetriebnahme und der Betriebsfüh-
rung noch nicht angeben«.247 Das Vorhaben wie auch der ungeklärte Streit um die
245 Mark hatte besonders engen Kontakt zu seinem einstigen Kriegskameraden Engelbert Dollfuß. Nach
dessen Ermordung 1934 pflegte er weiterhin gute Verbindungen zur Regierung. Vgl. Mark 1993, 1–2,
11–12.
246 Vgl. RAC, RF, RG 12.1, Box 140, Folder 10, Bl. 11 : W. E. Tisdale, Log on trip to Hungary (Budapest)
and Austria (Graz, Vienna) vom 9.5.1937.
247 ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 868/4G : Kommissions-Bericht über
die Erstellung einer Hochspannungsanlage in den Physikalischen und Chemischen Instituten der Uni-
versität Wien, undatiert [März 1938].
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369