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Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«,
1938–1945242
praktisch eingestellt. Meyer kam nach seiner Pensionierung zwar hin und wieder noch
an seine alte Wirkungsstätte, doch bereits im Sommer 1938 geriet die Kommunikation
des Wiener Präsidiums mit den anderen Kommissionsmitgliedern, speziell in Frank-
reich, ins Stocken.26 Zu Beginn des Jahres 1939 zog er sich nach einer Intrige seiner
ehemaligen Mitarbeiter endgültig aus dem Institut zurück.27 Damit waren seine
Hände auch hinsichtlich der Internationalen Radiumstandard-Kommission gebunden.
Als Präsident musste er miterleben, wie seine Initiativen, neue Aufgaben für die Kom-
mission zu definieren, scheiterten. Dies galt für die Einführung einer international
verbindlichen Terminologie ebenso wie für die Herausgabe neuer Tabellen radioaktiver
Zerfallskonstanten.28 Um sich international verbindlich zu einigen, hätten sich die
Ländervertreter intensiv abstimmen müssen. Seit Kriegsbeginn 1939 erhielt Meyer
aber keine Nachrichten mehr aus Paris und Washington, D.C.
Doch ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg hatte vor allem die Union Minière ein
vitales Interesse daran, die einmal eingeführte Ordnung aufrechtzuerhalten. Immerhin
hing der kommerzielle Wert der von Otto Hönigschmid 1934 hergestellten und in
Brüssel gelagerten Standards davon ab, dass die Kommission weiter existierte und für
die Verlässlichkeit dieser Standards bürgte.29 Das Brüsseler Unternehmen konnte als
Außenseiter allerdings nur begrenzt Einfluss darauf nehmen, dass die Kommission
fortbestand. So konnte es beispielsweise nicht verhindern, dass eine Gruppe US-ame-
rikanischer Physiker und Chemiker eine neue Standard-Kommission gründete, die mit
der bestehenden internationalen Kommission teilweise konkurrierte. In ihrem Arbeits-
programm skizzierten die US-amerikanischen Wissenschaftler die künftigen Aufgaben
der neuen Kommission :
»The new committee will deal with secondary standards, particularly those of very low ra-
dium content to be used in gamma ray comparison of weakly radioactive material by the
counting method. […] [T]he committee […] proposes to set up through the US Bureau of
Standards quite a large number of secondary standards which would be furnished to labora-
tories throughout the world willing to do cooperation in the work of standardization and
measurement of weakly active materials, such as are of interest in geological age, in the detec-
tion of radium in living bodies. The committee also plans to establish a thorium
standard.«30
26 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 226 : Meyer an Hönigschmid vom 30.8.1938.
27 Vgl. Reiter 2000, 122.
28 Vgl. Meyer 1938. Siehe auch MC, Fonds commun Joliot-Curie, JC 3 : Meyer an Joliot vom 25.2.1938.
29 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 18, Fiche 286 : Piccard an Meyer vom 8.2.1938.
30 MC, ALC, Complément. 2 : Service de Mesures, Types et méthodes de mesure, étalonnage, Boîte 48,
Fiche 5975 : Lind an Internationale Radiumstandard-Kommission vom 14.12.1938.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369