Seite - 244 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Bild der Seite - 244 -
Text der Seite - 244 -
Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«,
1938–1945244
zu unterteilen und damit dieselben bisherigen Aufgaben zu lösen, sowie das dann freiwer-
dende Radium […] durch Ausleihung an die in Betracht kommenden Institute zuzuführen.
Letzterem Zweck würde nur mit Radium in gelöster Form gedient werden können.«35
Noch konnte die Akademie solche Begehrlichkeiten mit dem Verweis abwehren, dass
die vorhandenen Standards viel kleiner waren als die in Berlin benötigte Menge. Auch
die sonstigen am Institut befindlichen Präparate würden für die laufenden kernphysi-
kalischen Arbeiten benötigt und könnten daher nicht verliehen werden.36
Das Institut für Radiumforschung, das den internationalen Primärradiumstandard
aufbewahrte, wurde von den reichsdeutschen Behörden vorerst nicht in Frage gestellt.
1940 unternahm das REM allerdings einen Vorstoß, die Wiener Akademie direkt dem
Ministerium zu unterstellen.37 Seit dem Sommer 1941 stand auch der außeruniver-
sitäre Status des von der Akademie getragenen Instituts für Radiumforschung zur
Debatte. So regte der Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen bei dem Akademie-
präsidenten Heinrich von Srbik an, Gebäude und Inventar des Instituts der Universität
Wien zu übertragen, von der es seit seiner Gründung einen Teil seiner Haushaltsmittel
erhielt.38 Srbik konnte den Vorstoß mit dem Argument abwehren, dass die Instituts-
gründung auf eine private Schenkung zurückgehe. Er sähe sich außerstande, dem
Willen des Stifters entgegenzuwirken.39 Der Angriff auf eines der wichtigsten symbo-
lischen Güter des Instituts, den Wiener Primärstandard, begann etwa zur gleichen Zeit.
Im Frühjahr 1941 stellte ein Mitarbeiter der PTR, Carl Friedrich Weiss, die Zuverläs-
sigkeit des Primärstandards grundsätzlich in Frage. Er behauptete, verschiedene alte
und neue Sekundärstandards nachgemessen und dabei bedeutende Abweichungen
vom Pariser Urnormal und den Wiener Primärstandards von 1912 gefunden zu haben.
Die Abweichungen, so vermutete er, seien allein durch die Ungenauigkeit des Wiener
Primärstandards zu erklären.40 Weiss führte seine Kampagne nicht im Alleingang,
sondern er handelte durchaus im Sinne seiner Behörde. In der Berliner PTR begann
35 AÖAW, Math.-nat. Klasse, Institut für Radiumforschung, K 2, C, Nr. 259/1939 : Reichsminister für
Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an Reichsstatthalter in Österreich vom 11.5.1939.
36 Vgl. AÖAW, Math.-nat. Klasse, Institut für Radiumforschung, K 2, C, Nr. 259/1939 : Srbik an Ministe-
rium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 25.5.1939.
37 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 2918/15 : Reichsminister für
Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an Akademie der Wissenschaften in Wien vom 31.1.1940.
38 Vgl. AÖAW, Math.-nat. Klasse, Institut für Radiumforschung, K 4, I [Nr. 200/1941] : Kurator der wis-
senschaftlichen Hochschulen in Wien an Srbik vom 15.7.1941.
39 Vgl. Österreichisches Staatsarchiv Wien, Archiv der Republik, ab sofort : ÖStA, AdR, Kurator der wis-
senschaftlichen Hochschulen in Wien, K 19/6147 A : Sondermittel für das Institut für Radiumforschung
vom 20.5.1944.
40 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 31, Fiche 427 : Weiss an Ortner vom 22.4.1941.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369