Seite - 249 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Bild der Seite - 249 -
Text der Seite - 249 -
Das regionale Netzwerk wird zerstört 249
als international gewichtiger Faktor in Standardisierungsfragen erneut ins Spiel ge-
bracht werden. Für dieses Unterfangen benötigten sie allerdings die Wiener Standards,
die in den letzten Kriegsmonaten in die Hofburg ausgelagert, von US-Truppen be-
schlagnahmt und in die US-amerikanische Besatzungszone nach Salzburg gebracht
worden waren.62 Mit Unterstützung Samuel C. Linds, des langjährigen US-amerika-
nischen Mitglieds der Internationalen Radiumstandard-Kommission, erhielt das Insti-
tut für Radiumforschung die Standards im Sommer 1945 zurück.63 Ende des Jahres
publizierte Meyer in den Institutsmitteilungen eine Entgegnung auf die Weiss’sche
Kritik. Sie gründete auf Kontrollmessungen, welche in der Zwischenzeit in Wien
durchgeführt worden waren.64 Der Anspruch, damit auch in der Internationalen
Radiumstandard-Kommission wieder den Ton anzugeben, fand allerdings ein geteiltes
Echo. Das Ehepaar Joliot-Curie hatte in der Zwischenzeit die Angelegenheiten des
Komitees in die Hand genommen, hauptsächlich, um den Aktivitäten des 1938 ge-
gründeten US-amerikanischen Komitees für radioaktive Standards entgegenzutreten.
Dieses Komitee hatte begonnen, neue Regeln für die radioaktiven Einheiten und die
Namensgebung für Elemente außerhalb der Radiumfamilie festzulegen. Sie betrafen
vor allem künstlich hergestellte radioaktive Isotope.65 Unter anderem sollte eine
Einheit definiert werden, die auf Zerfallsraten basierte.66 Als Bezeichnung für diese
Einheit, die als allgemeines Maß für Radioaktivität gelten sollte, schlugen die US-
amerikanischen Unterhändler »Rutherford« vor.
Die Diskussion über das Schicksal und die künftigen Aufgaben der Internationalen
Radiumstandard-Kommission flammte im Sommer 1947 anlässlich einer Konferenz
der International Union of Chemistry in London auf.67 Meyer nahm an dieser Kon-
ferenz nicht teil und erfuhr von den Plänen der Joliot-Curies erst durch seinen alten
Freund Fritz Paneth.68 Da die meisten Konferenzteilnehmerinnen und Konferenz-
teilnehmer über den schwelenden Konflikt um die Verlässlichkeit des Wiener Stan-
62 Ursprünglich war geplant, die Standards in einem der St. Joachimsthaler Stollen vor Kriegseinwirkung
zu schützen. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 20, Fiche 319 : Treibacher Chemische Werke an
Ortner vom 23.9.1944.
63 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 16, Fiche 255 : Lind an Meyer vom 9.11.1945.
64 Vgl. Meyer 1945 ; Hönigschmid 1945.
65 Vgl. MC, Fonds commun Joliot-Curie, JC 3 : Correspondance avec des amis et des proches, undatiert :
Meeting of the Joint National Research Council Committee on Standards, Units and Constants of Radi-
oactivity held at the National Bureau of Standards vom 5.2.1948.
66 Eine Einheit würde dann die Menge an radioaktiver Substanz kennzeichnen, die 106 Kern-Zerfälle pro
Sekunde aufweist.
67 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 353 : Questions qui se posent re Commission des
Etalons vom 12.1.1948.
68 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 277 : Meyer an Schweidler vom 18.12.1947.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369