Seite - 258 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«,
1938–1945258
Vorerst befand sich die Wiener Kernforschungsgruppe allerdings in einer ebenso pre-
kären Lage wie zu Zeiten des autoritären Ständestaates. Zum Leidwesen ihrer Mitglieder
war das REM über ihre besonderen Verdienste bei der Ausbildung des Physikernach-
wuchses schlecht informiert und daher nicht bereit anzuerkennen, dass »die Atomzer-
trümmerungsdissertanten zugleich z[um]. gr[oßen]. T[eil]. radiobastelnde proportional-
verstärkerbauende Jungens sind, die in der Industrie größten Anwert finden«.111 Es
bedurfte persönlicher Überzeugungsarbeit, um die Ministerialbeamten umzustimmen.
Die vom REM gewährten Sonderzahlungen blieben schließlich weit hinter den ur-
sprünglich geforderten Summen zurück.112 Dies galt nicht allein für die Kernfor-
schung, sondern auch für andere akademische Bereiche. Der Reichshaushaltsplan sah
für 1939/40 Mittel in Höhe von 80.000 Reichsmark zur Förderung des (gesamten)
Hochschullehrernachwuchses vor, von denen die Gehälter der Habilitierten bezahlt
wurden.113 Hinzu kamen Sondermittel in Höhe von 130.000 Reichsmark.114 Einige
der in der Kernforschung aktiven Wiener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
erhielten Stipendien von der DFG.115 Schon im März 1938 wurden an den Physika-
lischen Instituten der Universität Wien provisorisch sechs neue Assistentinnen und
Assistenten beziehungsweise wissenschaftliche Hilfskräfte unter Vertrag genommen.116
Friedrich Hernegger löste im März 1938 Elisabeth Rona als besoldeter Assistent ab ; er
war fortan für die Herstellung radioaktiver Strahlungsquellen zuständig.117 Berta
Karlik hatte seit 1933 als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Radiumforschung
gearbeitet.118 Sie stieg 1940 zur besoldeten Assistentin auf, neben Friedrich Prankl,
der 1939 Assistent am Institut für Radiumforschung wurde.119 Am Vereinigten I. und
schen Fakultät der Universität Wien vom 15.4.1938, und ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und
Unterricht 1848–1940, F 992/5G : Rumpf an Dekanat der Philosophischen Fakultät der Universität
Graz vom 20.5.1938.
111 ADM, NL Gerlach, NL 80/417/2 : Kirsch an Gerlach vom 12.3.1939.
112 Siehe dazu AÖAW, FE-Akten, IR, Behördenschriftwechsel, K 32, Fiche 442 : Korrespondenz Gustav
Ortners mit dem REM und Verwaltungsstellen der Wiener Hochschulen.
113 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 297/2C/1 : Erlass betr. Beihilfen
zur Förderung des Hochschullehrernachwuchses vom 20.5.1939.
114 Vgl. ÖStA, AdR, Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien, K 19/6146A : Vermerk über
Restmenge der bewilligten 130.000 RM des REM für das Institut für Theoretische Physik, undatiert.
115 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 1, Fiche 14 : DFG an Rektor der Universität Wien vom
30.6.1938 ; AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 173 : Weiterbewilligung der DFG-For-
schungsstipendien an Dr. Merhaut und Dr. Prankl vom 9.10.1939.
116 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, Behördenschriftwechsel, K 32, Fiche 441 : Ortner an Dekanat der Philoso-
phischen Fakultät der Universität Wien vom 15.4.1938.
117 Vgl. Abteilung der Archivfonds der Staatlichen Kooperation der Atomenergie Moskau, ab sofort :
OOFR, Mappe 19143, Bl. 119–121 : Aussage von Prof. Dr. Gustav Ortner vom 28.4.1945.
118 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 52, Fiche 766 : Lebenslauf Berta Karlik, undatiert [1950].
119 Prankl übernahm die Planstelle, nachdem Ortner zum außerordentlichen Professor ernannt worden war.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369