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Auf der Suche nach neuen Organisationsformen 259
II. Physikalischen Institut rückten Josef Schintlmeister, Willibald Jentschke und Her-
tha Wambacher zu Assistenten auf.120 Am III. Physikalischen Institut wurden Fried-
rich Bibl und Friedrich Koch angestellt.121
An der TH Graz sorgte Fritz Kohlrausch auf Ordinarienebene für personelle Konti-
nuität. Sein Assistent war der Nationalsozialist Arno Reitz, der sich in seiner Disserta-
tion mit kosmischer Höhenstrahlung befasst hatte. Als Assistent Kohlrauschs widmete
Reitz sich dem Studium des Raman-Effektes, bevor er bei Kriegsbeginn eingezogen und
erst Anfang des Jahres 1943 aus der Wehrmacht entlassen wurde.122 Mit Geldern der
IG Farben, die Kohlrausch über Carl Bosch organisiert hatte, und unterstützt durch das
REM wurde die Zahl der Assistenten bis 1939 auf drei erhöht.123 In Innsbruck leitete
Rudolf Steinmaurer als Oberassistent de facto die Forschung am Physikalischen Institut
der Universität. 1940 kam die deutsche Physikochemikerin Erika Cremer als Dozentin
an das Institut für Physikalische Chemie. Cremer hatte in den 1930er Jahren an ver-
schiedenen Physikalischen und Chemischen Instituten im Deutschen Reich ohne feste
Anstellung gearbeitet, bevor sie 1937 an das Berliner KWI für Chemie zu Otto Hahn
kam. Später begann sie am KWI für Physik unter der Leitung Peter Debyes mit einer
Forschungsarbeit zur Isotopentrennung. Dies brachte sie schon in Berlin in Verbindung
mit dem Uranverein, für den sie auch in Innsbruck tätig war.124
Die Vertreibung von politisch oder »rassisch« unerwünschten Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern bedeutete einen politisch gewollten Verzicht auf personelle Res-
sourcen.125 Sie führte dazu, dass die Konkurrenz um die wenigen bezahlten Akademi-
kerstellen an den Universitäten etwas entschärft wurde. Die Gesamtzahl der bezahlten
Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, Mitarbeiter, K 1, Fiche 16 : Ortner an Dekanat der Philosophischen Fakultät
Universität Wien vom 21.11.1939.
120 Schintlmeister nutzte dazu die Verbindungen zu seinem Bergsteigerfreund Hugo Rössner, der als »Illega-
ler« nach 1938 in Wien zum Gauamtsleiter für Schulung aufgestiegen war. Vgl. UAW, PA Josef Schintl-
meister, PH PA 3293, Kiste 227, Bl. 10–14 : Schintlmeister, Josef : Erklärung über meine politische
Einstellung und mein Verhältnis zur NSDAP vom 5.12.1945. Siehe zu Wambacher UAW, PA Hertha
Wambacher, PH PA 3664, Kiste 263, Bl. 14–15 : Österreichisches Unterrichtsministerium, Provisorische
Regelung der Entlohnung wiss. Hilfspersonals für einzelne Fälle vom 24.5.1938.
121 Vgl. BAB, R 4901/13570 : Haushaltsangelegenheiten der Universität Wien, Aug. 1942-April 1945.
122 Vgl. BAB, R 4901/13609 : Personalbestand Institut für Physik der Technischen Universität in Graz, un-
datiert [1944]. Reitz war seit 1927 Mitglied im Steirischen Heimatschutz und gehörte seit 1933 der
NSDAP an. Ab 1939 engagierte er sich als Kreisamtsleiter und Schulungsbeauftragter des NS-Dozen-
tenbundes. Zunächst als Assistent von Victor Hess an der Universität Graz tätig, wurde Reitz 1934
Assistent am Physikalischen Institut der TH. Vgl. NARA, RG 498, Box 111, Entry ETO IS-Y Sect.,
Preliminary Interrogation Report : Dr. Arno Wilhelm Reitz vom 13.9.1946.
123 Vgl. RAC, RG 1.1, Series 705 D, Box 2, Folder 19 : Technische Hochschule Graz Physical Institute,
Biophysical Chemistry, undatiert [Dezember 1939].
124 Vgl. Beneke 1999, 316–317.
125 Vgl. Ash 2002, 39.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369