Seite - 267 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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An der Peripherie des neuen Netzwerks 267
gen. Stetter und mehrere Assistenten wurden zu Beginn des Krieges eingezogen.160 Es
gelang Stetter allerdings, als Institutsleiter mit Projektverantwortung, im März 1940
vom Kriegsdienst freigestellt zu werden.161
Schwieriger war es für seine Assistenten, von denen bei Kriegsbeginn noch kaum einer
an militärisch relevanten Projekten arbeitete. Selbst 1942, als an den Wiener Physikali-
schen Instituten bereits mehrere Militärforschungsaufträge bearbeitet wurden, setzte sich
Baldur von Schirach, seit 1941 Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien, persönlich
dafür ein, dass Richard Herzog und Karl Lintner zum Militärdienst eingezogen wurden.
In einem Schreiben vom Dezember 1942 stellte die Gauleitung gegenüber dem zustän-
digen Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien klar, dass im II. Physikali-
schen Institut der Universität Wien »ohnehin vier Assistenten vorhanden sind, mit de-
nen, mit Rücksicht auf die derzeitige Lage, das Auslangen gefunden werden muß.« Auch
das I. Physikalische Institut müsse »mit Rücksicht auf die kriegsbedingte Lage mit zwei
Assistenten das Auslangen« finden.162 Es war unter anderem den Interventionen Josef
Schintlmeisters zu verdanken, dessen Onkel im Rüstungskommando für Enthebungen
und Einberufungen zuständig war, dass die am II. Physikalischen Institut der Universität
Wien tätigen Kernphysiker schließlich doch freigestellt wurden.163
Bis 1942 war die Kernforschung nur eine von mehreren Kriegsforschungsaufträgen,
die dafür sorgten, dass Ressourcen aus dem »Altreich« an die Universitäten der »Ost-
mark« flossen. Doch speziell die Wiener Gruppe, die den Löwenanteil der Ressourcen
erhielt, erhoffte sich von der Zugehörigkeit zum Deutschen Reich mehr. Die finanzi-
elle Wende kam für die Wiener Institute, als zivile Institutionen des nationalsozialisti-
schen Regimes begannen die kernphysikalischen Forschungsarbeiten des Uranvereins
zu fördern. Werner Heisenberg und andere führende Mitglieder des Uranvereins hat-
ten zuvor bei Persönlichkeiten der deutschen Politik und Industrie für die Kernfor-
schung als zukunftsträchtige zivile Technologie geworben.164 Im Sommer 1942 über-
nahm der Reichsforschungsrat (RFR) schließlich die Federführung im Uranverein vom
HWA. Der RFR war 1937 als ein Koordinierungsinstrument gegründet worden, der
mit Wissenschaftlern, Vertretern der Wehrmacht und der Industrie besetzt war und vor
allem die natur- und technikwissenschaftlichen Forschungsfelder auf die rüstungswirt-
160 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 11, Fiche 173, Ortner an DFG vom 13.10.1939.
161 Vgl. NARA, RG 319, Box 221D, XA001081 : CIC Salzburg, Stetter, Georg. Background Investigation
vom 11.3.1952.
162 ÖStA, AdR, Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien, K 3/AZ 1315, 1 (Teil 2) : Kurator
der deutschen wissenschaftlichen Hochschulen in Prag an Stellv. Gauleiter Wien vom 24.12.1942.
163 Vgl. OOFR, Mappe 19143 : Protokoll der Aussagen des Mechanikers im Radiuminstitut Walter
Opawsky (deutsch und russisch), undatiert [Mai 1945 ?].
164 Vgl. Walker 2005, 23–25.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369