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Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«,
1938–1945274
keiten im 2. Stock des Instituts für Radiumforschung zu klein waren, begannen im
Herbst 1943 Umbauarbeiten. Sie wurden allerdings bald wieder eingestellt, da die al-
liierten Luftangriffe auf Wien zunahmen und sich der Umbau schwieriger erwies als
ursprünglich angenommen. Seit Januar 1944 wurden die Physikalischen Institute
schrittweise aus Wien ausgelagert. Ein Teil des Vierjahresplaninstituts fand sich im
niederösterreichischen Ort Schwallenbach in der Wachau wieder. Der Generator
wurde weder dort noch in Wien bis Kriegsende aufgestellt. Denn die Zerstörung von
Eisenbahntrassen durch alliierte Luftangriffe verhinderte, dass das Gerät Wien bis
Kriegsende erreichte.203
Leistungsfähige Teilchenbeschleuniger waren im Deutschen Reich während des
Zweiten Weltkriegs insgesamt noch wenig verbreitet. Unter dem Dach der KWG gab
es acht Institute, die in den 1930er und 1940er Jahren Projekte zur Errichtung von
Teilchenbeschleunigern in die Wege geleitet hatten. Bis 1945 produzierten lediglich
sechs Beschleuniger radioaktive Strahlen für Forschungszwecke. Am KWI für Medizi-
nische Forschung unter Leitung Walther Bothes in Heidelberg war im Herbst 1944 ein
Zyklotron in Betrieb gegangen.204 Ein sogenanntes Liliput-Gerät, das mit einer Leis-
tung von maximal 1,5 MeV weit hinter den US-amerikanischen Apparaturen
Lawrence’scher Bauart zurückstand, nahm 1943 am Röntgenforschungs-Institut der
Universität Bonn die Arbeit auf. Das erste im Deutschen Reich funktionierende Zyk-
lotron wurde, ebenso wie große Teile des von dem Physiker Leonhard Grebe geleitete-
ten Bonner Instituts im Oktober 1944 durch einen Bombentreffer zerstört.205 Wäh-
rend die Institute der KWG oftmals auf altbewährte Technologien setzten, experimen-
tierte die elektrotechnische Industrie, allen voran Siemens und die AEG, während des
und über das Institut für Radiumforschung der Wiener Akademie der Wissenschaften (russisch) vom
30.3.1946.
203 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, Tätigkeitsberichte, K 5, Fiche 96 : Bericht über das Institut für Radiumfor-
schung der Akademie der Wissenschaften in Wien (1939–1946) vom 4.1.1947. Siehe auch die Beispiele
für andere unvollendete Projekte (Rheotrone, Hochvoltanlagen) in AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für
Physik, Moskauer Akten, Nr. 19208, Bl. 102 : K. G. Zimmer, Bericht über die Auergesellschaft (deutsch
und russisch) vom 5.11.1945.
204 Vgl. Weiss 2000, 701–702. Darunter waren die KWI für Physikalische Chemie und Elektrochemie
(Fritz Haber), Chemie (Otto Hahn), Medizinische Forschung Abt. Physik (Walther Bothe), Physik (Pe-
ter Debye), Hirnforschung Abt. Genetik (Nikolai Timofeeff-Ressovsky), Biophysik (Boris Rajewsky)
sowie die Forschungsstelle D (Walter Dällenbach). Bis Mai 1945 gab es auf dem Gebiet des Deutschen
Reiches drei Zyklotron-Bauprojekte, die unterschiedlich weit fortgeschritten waren : zwei in Berlin (La-
bor Manfred von Ardenne, Reichspost) und eines in Leipzig. Vgl. NARA, RG 77, Box 166, Entry 22 :
American Embassy London, Inventory of Nuclear Physics Laboratory Equipment in Germany vom
9.8.1946.
205 Vgl. Osietzki 1987, 182–183, und zu Grebes Institut Maier 2007, 521.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369