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An der Peripherie des neuen Netzwerks 275
Krieges mit Versuchsanlagen im Zyklotronbau.206 Auch in Wien setzte man sich theo-
retisch ausführlich mit einem alternativen großtechnischen Gerät, dem Rheotron,
auseinander. Es blieb aber unwahrscheinlich, dass dieser Apparat, der in den Kreisen
der Wiener Kernphysik unter der Bezeichnung Cyotron diskutiert wurde, tatsächlich
zu errichten war.207 Kosmische Strahlung, die in großen Höhen der österreichischen
Alpen mittels fotografischer Platten eingefangen wurde, war vorerst die einzige Quelle
für hochenergetische Strahlung. Hertha Wambacher, die neben der kernphysikalischen
Forschung ihre mit Marietta Blau begonnene Höhenstrahlungsforschung im Krieg
fortsetzte, berichtete dem Forschungsdirektor der IG Farbenindustrie/Agfa in Wolfen
ernüchtert :
»Das Reotron ist bei uns noch immer Wunschtraum, besonders von mir, da ich […] gerne
damit im Laboratorium Zertrümmerungssterne herstellen würde. Aber vorläufig muss man
froh sein, wenn hier nichts zertrümmert wird.«208
Auch wenn sich der Plan, in Wien einen Teilchenbeschleuniger zu errichten, bis
Kriegsende nicht realisieren ließ, profitierten die Institute doch erheblich von zivilen
und militärischen Geldern des nationalsozialistischen Deutschen Reiches. Rückbli-
ckend waren sich die Wiener Mitglieder des Uranvereins darüber einig, dass die
Aufträge eine beträchtliche Verbesserung der instrumentell-apparativen Ausstattung
ermöglicht hatten. Dies galt gerade auch im Vergleich zur mageren Ressourcenaus-
stattung in der Zeit des autoritären Ständestaates. Es wären jedoch sehr viel umfang-
reichere Geld- und Materialzuflüsse nötig gewesen, um hochleistungsfähige künstli-
che Strahlungsquellen anzuschaffen und damit die Kernforschung auf eine neue
qualitative Stufe zu heben. Natürliche radioaktive Strahlungsquellen blieben daher in
Wien, Graz und Innsbruck notgedrungen die »Grundlage der ganzen Arbeit der
Physikalischen Institute«.209 Die vorhandenen Bestände dieser Schlüsselressource
aufzustocken, hielt die Kernforscherinnen und Kernforscher während des Krieges in
Atem.
206 Vgl. ADM, NL Gerlach, NL 80/433 : Gerlach an Thirring vom 15.4.1956 ; Weiss 2000, 703.
207 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 2 : Eggert an Wambacher vom
11.5.1944.
208 AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 2 : Wambacher an Eggert vom
24.5.1944. Wambacher hatte selten mit Schopper Briefkontakt, zudem besuchte Max Kindinger, der am
II. Physikalischen Institut tätig war, Regener einmal in Friedrichshafen.
209 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Przibram, K 33, Fiche 461 : Karlik an Przibram vom 30.1.1946.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369