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An der Peripherie des neuen Netzwerks 279
nale Radioaktivistengemeinschaft von Wien aus mit leistungsstarken Präparaten ver-
sorgt wurde, waren aber spätestens 1943 vorbei.227
Die Forschungsgruppe um Stetter richtete ihr Augenmerk unterdessen verstärkt auf
die inländische Radiumindustrie. Im Herbst 1940 erteilte Ortner der Auergesellschaft
in Berlin den Auftrag, ein 300 Milligramm schweres Radiumpräparat herzustellen, das
für die laufenden Wiener Neutronenexperimente benötigt wurde. Die Auergesellschaft
ließ sich diese Dienstleistung mit 300 Reichsmark vergüten.228 Weitergehende Kon-
takte zu dem Berliner Unternehmen sind für die Zeit des Krieges nicht belegt. Auf der
Suche nach einem Partner in der Industrie, der bereit war sich auch auf unbezahlte
Kooperationen einzulassen, rückten vielmehr die TCW ins Blickfeld. Die Verbindung
nach Kärnten war nicht neu. Schon seit Mitte der 1930er Jahre stand das Institut für
Radiumforschung mit dem größten Radiumproduzenten Österreichs im losen Ge-
schäftskontakt.229 Die Zusammenarbeit während des Krieges erfolgte allerdings unter
denkbar schlechten Vorzeichen.
Die TCW hatten seit den frühen 1930er Jahren reines Radium von der britischen
Firma Derby & Company Ltd. bezogen, um es für die Herstellung eigener Produkte
zu verwenden. Zudem stellte die Firma Reinradium aus Konzentraten der Londoner
Geschäftspartnerin her und arbeitete für das Institut für Radiumforschung sowie die
Radiumstation in Lainz gelegentlich alte Radiumpräparate um.230 Bald nach dem
»Anschluss« Österreichs stand man in Treibach vor einem Nachschubproblem, da die
Lieferungen radioaktiver Konzentrate aus Großbritannien und von Uranerzen aus
Portugal nach Treibach mangels Devisen ausblieben. Da es auch an alternativen Zulie-
ferern fehlte, mussten die TCW ihre Radiumproduktion empfindlich drosseln.231 Von
den Uranerzen und bereits verarbeiteten Materialien, die seit Herbst 1940 von der
Union Minière an das Deutsche Reich geliefert wurden, erhielt das Kärntner Unter-
nehmen so gut wie nichts.232 Der Löwenanteil der in Belgien und Frankreich erwor-
227 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 20, Fiche 319 : Ehrbacher an Ortner vom 10.4.1943, und
AIFM, A19857, Bl. 413c : Eggert an Karlik vom 11.12.1944.
228 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 39, Fiche 572 : Auergesellschaft AG an Institut für Radiumfor-
schung vom 5.9.1940.
229 Die TCW hatten beispielsweise 1937 in Wien angefragt, wie der Postversand radioaktiver Stoffe in die
USA zu handhaben sei. Im Gegenzug lieh das Unternehmen Stetter ein Radiothorpräparat, um die
Aktivitätswerte in Wien bestimmen zu lassen. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 16, Fiche 255 :
Treibacher Chemische Werke an Ortner vom 13.1.1937.
230 1936 und 1937 erzeugte die Radiumabteilung der TCW aus den britischen Lieferungen zwischen vier
und fünf Gramm reines Radium pro Jahr. Vgl. Gollmann 1994, 59.
231 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 17, Fiche 285 : Meyer an Pettersson vom 1.2.1938. Siehe zur
Produktionsentwicklung der Radiumabteilung nach 1938 Gollmann 1994, 106, 108–112, 117.
232 Vgl. NARA, RG 77, Box 165, Entry 22 : Report S.A. Goudsmit (Alsos Mission), U-Metal, vom
24.4.1945.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369