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Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«,
1938–1945280
benen Uran- und Radiumvorräte ging stattdessen an mehrere Radiumproduzenten aus
dem »Altreich«, darunter die Auergesellschaft und die Deutsche Gold- und Silberschei-
deanstalt (Degussa) in Frankfurt.233 Die TCW waren für ihre Radiumproduktion als
Anteilseignerin der St. Joachimsthaler Bergbau GmbH fast vollständig auf die wenig
ergiebigen St. Joachimsthaler Minen angewiesen. Ihre Mesothorproduktion wurde
1941 und 1942 vorübergehend stillgelegt, da Rohstoffe fehlten. Um den Betrieb trotz
der schwankenden, insgesamt unzureichenden Rohstofflage am Laufen zu halten, be-
gann das Kärntner Unternehmen verstärkt radiumhaltige Konzentrate und Rück-
stände umzuarbeiten. Die Rohstofflage verbesserte sich für Treibach erst 1943, nach-
dem die Produktionsstätten der Auergesellschaft in Oranienburg sowie jene der
Buchler-Werke in Braunschweig durch Bombentreffer der Alliierten zerstört worden
waren und die TCW die Aufarbeitung radioaktiver Rückstände im Auftrag dieser Fir-
men übernahmen.234 Die TCW erhielten wahrscheinlich auch Zuteilungen von der
Roges GmbH, die das im Ausland beschaffte radioaktive Material über das Radium-
Syndikat an Bedarfsträger im Deutschen Reich weitergab.235
Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften sowie Engpässe bei der Energieversor-
gung machten es den TCW trotz vorhandener Rohstoffe immer schwerer, die Pro-
duktion aufrecht zu erhalten. Vor diesem Hintergrund war das Unternehmen durch-
aus interessiert, mit dem Institut für Radiumforschung zu kooperieren ; erweiterte es
dadurch doch seinen wissenschaftlichen Personalstock. Das Institut erhielt im Ge-
genzug radioaktive Präparate als Leihgaben. Da wissenschaftliche Einrichtungen
ebenso wie Krankenhäuser seit 1942 wegen der militärischen Nachfrage kaum noch
Aussicht hatten, radioaktive Präparate käuflich zu erwerben, war dieser Versorgungs-
weg an den Behörden vorbei für das Institut von unschätzbarer Bedeutung. Berta
Karlik lieh sich wiederholt ein Radiothor-Präparat aus Treibach, mit dem sie ihre
Experimente zum Element 85 fortsetzte. Karliks Mitarbeiter, der Radiochemiker
Fritz Hernegger fertigte mehrere Standards für die TCW. Die Firma stellte ihm zu
diesem Zweck extra unverseuchte und geschützte Räumlichkeiten auf dem Firmen-
gelände in Treibach zur Verfügung.236 Auch Gustav Ortner bekam auf Vermittlung
233 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 19208, Bl. 107 : Bericht über die
Auergesellschaft (deutsch und russisch) vom 5.11.1945.
234 Vgl. Gollmann 1994, 111–114, 119.
235 Vgl. Gollmann 1994, 117, 122, und NARA, RG 77, Box 163, Entry 22 : Movement of Uranium Stocks
from 1–9–39 to 1–9–44, undatiert. Die Aufstellung enthält allerdings nur die Lieferungen von belgi-
schen Uranmaterialien an die Roges, nicht an die TCW.
236 Vgl. zum Präparateverleih GUB, Hans Pettersson : Karlik an Pettersson vom 24.10.1943 ; AÖAW, FE-
Akten, IR, NL Meyer, K 20, Fiche 320 : Treibacher Chemische Werke an Ortner vom 9.6.1944. Vgl. zur
Herstellung der Standards AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 20, Fiche 319 : Treibacher Chemische
Werke an Ortner vom 1.6.1943 und vom 28.6.1943.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369