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An der Peripherie des neuen Netzwerks 281
der TCW von dem Chemiker Hermann Auer von Welsbach ein Selten Erden-Präpa-
rat als Leihgabe.237
Vieles deutet darauf hin, dass es seit 1944 kaum noch möglich war, aus Treibach
leistungsstarke radioaktive Präparate zu beziehen.238 Hertha Wambacher klagte jeden-
falls über zu schwache Strahlungsquellen, und auch Karlik kämpfte mit dem Umstand,
dass das Kärntner Unternehmen das Material nicht zum benötigten Zeitpunkt liefern
konnte. Es war Karliks guten Kontakten zu Josef Mattauch und Otto Hahn am KWI
für Chemie zu verdanken, dass sie ein Radiothor-Präparat erhielt, mit dem sie ihre
Versuche zum Nachweis des Elements 85 fortsetzen konnte.239 Gemeinsam mit
Traude Bernert konzentrierte sie sich darauf, die Existenz des Folgeprodukts des
β-Zerfalls von Radium A nachzuweisen und dessen genetischen Zusammenhang mit
den drei bekannten radioaktiven Zerfallsreihen zu untersuchen. Ziel war es, die letzte
Lücke im Periodensystem der Elemente zu schließen.240 Karlik und Bernert wussten
nicht, dass ein solcher Nachweis Emilio Segré und Glenn Seaborg bereits 1940 durch
die Bestrahlung von Wismut gelungen war, so dass sie die Publikation des Schweizer
Mineralogen und Chemikers Walter Minder über die β-Strahlung von Radium A zum
Ausgangspunkt ihrer Untersuchung machten.241
Nachdem Belgien im September 1944 von deutscher Besatzung befreit worden war,
kam der Nachschub belgisch-kongolesischen Urans zum Erliegen. Die TCW erhielten
1944 fast keine Rohstoffzuteilungen mehr aus Berlin. Uranvorräte der Union Minière
in Brüssel, die von deutscher Seite noch nicht vollständig bezahlt worden waren, wur-
den kurz danach von US-amerikanischen Truppen beschlagnahmt.242 Das belgische
Uran aus dem Kongo sowie die Uranlieferungen aus Kanada bildeten den Ausgangs-
stoff der Atombomben, die im Sommer 1945 über Hiroshima und Nagasaki gezündet
werden sollten.243
237 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 20, Fiche 319 : Treibacher Chemische Werke an Ortner vom
1.6.1943.
238 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 39, Fiche 574 : Karlik an Gerlach vom 21.2.1945, und AÖAW,
FE-Akten, IR, NL Meyer, K 20, Fiche 319 : Treibacher Chemische Werke an Ortner vom 9.6.1944.
239 Vgl. OOFR, Mappe 19143, Bl. 119–121 : Aussagen von Prof. Dr. Gustav Ortner vom 28.4.1945.
240 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, Mitarbeiter, K 1, Fiche 13 : Arbeitsprogramm zu dem Arbeitsvorhaben Un-
tersuchung der natürlichen Existenz des Elementes 85 vom 7.1.1944.
241 Siehe zur Rezeption der Arbeiten von Segré/Seaborg in Wien AÖAW, FE-Akten, IR, NL Karlik, K 57,
Fiche 860 : Festschrift des Instituts für Radiumforschung anlässlich seines 40-jährigen Bestehens (1910–
1950). Zur Rezeption der Arbeiten Minders in Wien GUB, Hans Pettersson : Karlik an Pettersson vom
10.5.1943.
242 Vgl. CAC, CHAD IV 8/5 : War Cabinet Offices an Joint Staff Mission vom 4.10.1944.
243 Siehe zur Bedeutung des belgisch-kongolesischen Urans den Schriftwechsel in CAC, CHAD IV 8/5,
und zur Bedeutung kanadischen Urans Schmidt 2002.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369