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Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«,
1938–1945292
Am Institut für Radiumforschung untersuchten Gustav Ortner und seine Mitarbei-
ter die stofflichen Veränderungen von Stickstoff und Neon, die mit schnellen Neutro-
nen beschossen wurden. Auch dort wurde die Neutronenabsorption in verschiedenen
Medien sowie die Streuung thermischer Neutronen erforscht. Ortner widmete sich
daneben seinem Spezialgebiet, der Konstruktion eines Röntgenspektrometers. Darüber
hinaus befasste er sich mit theoretischen Aspekten der kosmischen Höhenstrahlung.297
Schließlich war er mit der theoretischen Erforschung der günstigsten Zusammenset-
zung des Uran-Moderatoren-Gemisches in der »Uranmaschine« befasst.298 Im Rah-
men der Forschungen des Vierjahresplaninstituts für Neutronenforschung untersuchte
Friedrich Prankl seit August 1943 die Spaltprodukte aus Uran und die Absorption von
Neutronen in diversen Substanzen, konnte die Arbeit aber nicht bis Kriegsende ab-
schließen. Erwin Fischer-Colbrie, der im März 1943 in Wien zu arbeiten begann,
widmete sich der Streuung von α-Teilchen an Aluminium sowie der Streuung langsa-
mer Neutronen. Auch seine Arbeiten schritten bis 1945 nicht sehr weit voran.299
Im Rahmen des Uranvereins ging es nicht nur darum, statistisches Material über die
Wirkungsweise des Kernspaltungsprozesses zu sammeln. Es galt auch, die im Verlauf
der Anreicherungsverfahren hergestellten Isotopengemische genauer zu untersuchen.
Lange Zeit war die Präzisionsmessung von Atomgewichten in den Aufgabenbereich der
Radiochemie gefallen.300 Doch in den 1930er Jahren gewann die Massenspektrosko-
pie als physikalische Analysemethode von Atomgewichten respektive Isotopengemi-
schen an Bedeutung. Josef Mattauch hatte die Messmethode in den späten 1920er
Jahren in Wien eingeführt und gemeinsam mit seinem Schüler Richard Herzog weiter-
entwickelt. Als Mattauch 1941 zum Leiter der radiophysikalischen Abteilung am KWI
für Chemie in Berlin berufen wurde, führte Herzog die massenspektroskopischen
Versuche fort.301 Seine Forschung am I. Physikalischen Institut wurde formal von
Gerhard Kirsch angeleitet, der daran inhaltlich aber keinen Anteil nahm. Finanziert
die Leute untereinander darüber viel diskutiert aber nie viel darüber gearbeitet haben.« Einen Hinweis
auf die Verbindungen Schintlmeisters zur GEMA finden sich in AÖAW, Vierjahresplaninstitut für Neu-
tronenforschung, Korrespondenzen : Postbuch April-Oktober 1945, K 2, Konv. 7, Fiche 13 : Vierjahres-
planinstitut für Neutronenforschung i. L. an Gebietskrankenkasse Wien vom 22.10.1945.
297 Vgl. OOFR, Mappe 19143 : Auszug der Aussagen anlässlich der Vernehmung von Gustav Ortner zur
wissenschaftlichen Arbeit am Atom (russisch), undatiert [1945].
298 Vgl. OOFR, Mappe 19143 : Aufklärungsabteilung des 336. NKWD-Grenzregimentes, Protokoll der
Vernehmung von Hertha Wambacher (russisch) vom 2.5.1945.
299 Vgl. OOFR, Mappe 19143, Bl. 119–121 : Aussagen von Prof. Dr. Gustav Ortner vom 28.4.1945.
300 Vgl. Roqué 2001b.
301 Vgl. zu Mattauchs Berliner Arbeiten Walker 2003, 23, 28–29. Vgl. zu Herzogs Tätigkeit in Wien ADM,
Deutsche Berichte zum Atom-Programm 1938–1945, FA 002/0736 : Richard Herzog (I. Physikalisches
Institut der Universität Wien), Bericht über den Stand der Arbeiten beim Bau des neuen großen Mas-
senspektrometers vom 1.7.1943.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369