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An der Peripherie des neuen Netzwerks 293
wurden die Arbeiten vom RFR.302 Gemeinsam mit Alfred Bönisch, der bei Josef
Mattauch 1939 über Untersuchungen mit dem doppelfokussierenden Massenspektro-
meter dissertiert hatte, baute Herzog einen kleinen Parabelspektrographen für Unter-
suchungen an leistungsfähigen Ionenquellen. Das Instrument sollte der Isotopentren-
nung sowie der Analyse von Isotopengemischen dienen. Das Gerät wurde, anders als
ein Großteil der anderen Apparaturen des I. Physikalischen Instituts, nicht evakuiert
sondern abgebaut und in den Keller des Instituts in der Boltzmanngasse gebracht.
Bönisch beschäftigte sich außerdem mit der Entwicklung einer intensiven punktförmi-
gen Ionenquelle für allgemeine massenspektrographische Zwecke. Beide Arbeiten
wurden bis Kriegsende nicht vollendet.303
Wie relevant die Wiener kernphysikalischen und massenspektroskopischen Untersu-
chungen tatsächlich für den Uranverein waren, war unter den Beteiligten selbst um-
stritten. Gegenüber dem sowjetischen Geheimdienst behauptete Bönisch nach dem
Krieg, mit seiner Arbeit ein Ziel verfolgt zu haben, »das auch ohne Kriegsauftrag ange-
strebt worden wäre. […] Die Arbeiten liefen offiziell unter dem […] Auftrag der
Massenspektrographie, der Uranmaschine, entsprangen aber vorwiegend meinem
Privatinteresse.«304 Der Mechaniker des Instituts für Radiumforschung Walter
Opawsky berichtete bei seiner Vernehmung durch sowjetische Geheimdienstoffiziere
nach Kriegsende, dass »die Angestellten […] sich des öfteren lustig [machten], dass
schon wieder neue Apparaturen gebraucht wurden und wir schon wieder Arbeit hätten
›es kommt ja so nichts heraus‹«.305 Die Mehrzahl der Wiener Forschungsergebnisse
unterlag nicht der Geheimhaltung, was darauf hindeutet, dass das HWA deren Rele-
vanz in den ersten Jahren niedriger einstufte als beispielsweise die von Beginn an klas-
sifizierten Arbeiten am KWI für Chemie.306 Insgesamt handelte es sich um Zuarbei-
ten, die die Großversuche zum Bau eines Kernreaktors vorbereiteten.
Georg Stetter begnügte sich nicht damit, dem Uranverein durch die Bestimmung
kernphysikalischer Messgrößen zuzuarbeiten, obwohl dies zu den kernphysikalischen
302 Vgl. NARA, RG 77, Box 165, Entry 22 : Alsos Mission, Chemical Warfare Research and Other Inves-
tigations in the Chemical and Physical Institutes of the University and the Technische Hochschule of
Vienna vom 10.9.1945.
303 Vgl. ADM, Deutsche Berichte zum Atom-Programm 1938–1945, FA 002/0705 : Zusammenfassender
Bericht über das II. Physikalische Institut der Wiener Universität derzeit in Thumersbach bei Zell am
See (3. Ausfertigung) vom 1.7.1945.
304 OOFR, Mappe 19143, Bl. 66–69 : Aussagen des Doktors Alfred Bönisch vom 1. Physikalischen Institut
der Wiener Universität (deutsch und russisch) vom 4.5.1945.
305 OOFR, Mappe 19143 : Protokoll der Aussagen des Mechanikers im Radiuminstitut Walter Opawsky
(deutsch und russisch), undatiert [Mai 1945 ?].
306 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 9 : HWA an Heisenberg vom
24.2.1942. Siehe zur Geheimhaltung am KWI für Chemie Sime 2004, 54.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369