Seite - 295 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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An der Peripherie des neuen Netzwerks 295
Plattenanordnung, also die Trennung reagierender und bremsender Substanz (später ge-
wöhnlich als Vorschlag Harteck zitiert) ; […] Ich bin sicher in der fraglichen Zeit mit Herrn
Flügge zusammengetroffen und dass bei diesen Gelegenheiten auch von dem gewissen Kern-
Problem die Rede war, ist gleichfalls sicher. Somit könnte ich wohl eine entsprechende Er-
klärung abgeben, vorausgesetzt, dass Herr Flügge desgleichen tut und natürlich gleichfalls
ohne irgendwelche Ansprüche.«313
Der Patentstreit zog sich über zwei Jahre hin ; Wirtz setzte sich durch und Stetters
Antrag wurde schließlich ohne weitere Bearbeitung zu den Akten gelegt.314 Die Ent-
scheidung kann nicht überraschen, wenn man sich die Interessen Karl Wirtz’ und des
von ihm vertretenen KWI für Physik in Berlin vor Augen führt. Mit Wirtz als Patent-
gutachter war sprichwörtlich der Bock zum Gärtner gemacht worden. Denn Wirtz
hatte zwei Jahre nach Stetter selbst ein Patent für einen Kernreaktor angemeldet. Ob
er Stetters Patentantrag bereits kannte, als er seinen eigenen Antrag ausarbeitete, geht
aus den Quellen nicht hervor.315 Mit Wirtz’ Patent dokumentierte das KWI für Phy-
sik, wie sehr seine Forschungsaktivitäten auf zivile Anwendungsmöglichkeiten der
Kernenergie ausgerichtet waren. Dieses Monopol wollte man sich nach Möglichkeit
nicht streitig machen lassen.
Das Berliner Institut nahm innerhalb des Uranvereins zweifellos eine zentrale Rolle
ein. Werner Heisenberg nahm seit 1940 als theoretischer Berater an den Reaktorversu-
chen des Instituts teil und avancierte 1942 zum Institutsleiter.316 Er hatte schon im
Winter 1939/40 in mehreren Geheimberichten seine Theorie zur Kettenreaktion bei
313 AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 7 h/Übrig : Stetter an HWA vom
27.8.1941.
314 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 7 h/Übrig : Oberkommando des
Heeres an Wirtz vom 12.6.1943. Der Streit um Stetters Patent hatte ein Nachspiel : Im Juli 1963 erwarb
die Österreichische Studiengesellschaft für Atomenergie GmbH Stetters Patent vom Alpenländischen
Zentralverein zur Förderung schöpferischen Schaffens in Salzburg, um es für den Bau von Atomkraft-
werken in Österreich zu nutzen. Die österreichische Presse berichtete in diesem Zusammenhang aus-
führlich über den »Vater aller Atomreaktoren« und beklagte, dass sich »Österreich ungezählte Male eine
ihm zwar nicht mehr von der Natur, aber vom österreichischen Entdeckergeist als Privileg zugewiesene
Aufgabe [hat] entreissen lassen […]. Was nützt es unserem Lande und seinen Wissenschaftlern, wenn
die Pioniertaten österreichischen Geistes erst nach Jahrzehnten auf Pressekonferenzen oder im Rahmen
von Gedächtnisfeiern publik werden ? Was nützen unserem Lande Pioniertaten, wenn andere die Vor-
teile davon haben ?« UAW, NL Stetter, Sch 312, Inv. 131.410 : Zeitungsartikel von F. Lorenz, Erfindun-
gen im Dornröschenschlaf, in : Neues Österreich, undatiert [1963].
315 Vgl. Walker 2005, 19. Zwischen Sommer 1940 und Sommer 1941 hatte Carl Friedrich von Weizsäcker,
wie Wirtz ein Mitarbeiter des KWI für Physik, ein Patent angemeldet, in dem er die militärischen Ein-
satzmöglichkeiten von Kernreaktoren und Plutonium betonte. Vgl. ebd., 14.
316 Vgl. Rechenberg 1996, 252.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369