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An der Peripherie des neuen Netzwerks 303
blick auf die bisher geleistete Forschungsarbeit kann festgestellt werden, dass es sich im we-
sentlichen um eine germanische Angelegenheit handelt, teils deshalb, weil die Angelsachsen
den größten Teil der Welt beherrschen, teils aus dem Grunde, weil die germanische Wissen-
schaft überhaupt führend ist. Aus diesem Grunde sind auch die nordischen Länder mitbe-
teiligt. […] Verschiedene ausländische Forscher erlernten bei uns die einschlägigen Metho-
den, z.B. 2 Norweger, 1 Finne, 1 Lettländerin, 1 Tscheche, 1 Chinese. Ein Amerikaner
wurde durch Kriegsausbruch davon abgehalten. […] Interesse für diese Arbeitsrichtung, […]
besteht außer in Norwegen (E. Gleditsch und ihre Schüler) in Indien, (besonders stark) in
Südafrika, im belgischen Kongo, im flämischen Belgien, in Irland, Finnland (wo G. Kirsch
selbst einige Wochen zu Forschungszwecken verbrachte), in Russland und Schweden.« 347
Von der neuen Zentralstelle erhofften sich Kirsch und Hecht nicht nur die Fortführung
einer fruchtbaren internationalen Zusammenarbeit, bei der die Wiener den Ton ange-
ben wollten. Beide rechneten auch damit, dass die Zentralstelle eine wichtige Funktion
übernehmen würde, sobald das nationalsozialistische Deutsche Reich Kolonien er-
obern würde, da sie dann die dort aufgefundenen radioaktiven Materialien analysieren
würde.
Warum weder der RFR noch das Ahnenerbe den Antrag der beiden Wiener Wissen-
schaftler bewilligte, muss offen bleiben. Der RFR griff lediglich einen Aspekt des
vorgeschlagenen umfangreichen Arbeitsprogramms heraus : die Auffindung von Roh-
stoffen im Kontext des Vierjahresplans. Neben der Suche abbauwürdiger Wolframkon-
zentrationen, das heißt der Suche nach höheren Konzentrationen von Elementen, die
das Uran begleiten, wie zum Beispiel Zinn und Wolfram in der Ankogel-Gruppe,
zählte dazu die Entwicklung von Methoden zur Anreicherung des Urangehalts von
wolframhaltigen Gesteinen aus den Hohen Tauern. 1943 erhielt Kirsch für dieses Pro-
jekt Sachbeihilfen in Höhe von 1.000 Reichsmark, im darauf folgenden Jahr zahlte der
RFR noch einmal 2.000 Reichsmark.348 Die DFG bewilligte darüber hinaus 500
Reichsmark für eine wissenschaftliche Hilfskraft.349 Im letzten Kriegsjahr erhielt
Kirsch abermals eine Unterstützung von 1.000 Reichsmark.350 Er brach seine Arbei-
347 BAB, BDC, Kirsch, Gerhard, 21.6.1890, DS/G 124 : Gerhard Kirsch, Friedrich Hecht, Vorschlag zur
Schaffung einer Zentralstelle für geologische Zeitmessung vom 3.6.1941. In Großbritannien fand zur
gleichen Zeit auf Initiative Fritz Paneths eine Konferenz zum Stand der angewandten Radioaktivitäts-
forschung statt. Geophysikalische Anwendungen, wie beispielsweise die Zeitmessung, spielten dort eine
untergeordnete Rolle, weil sich das Feld in starkem Umbruch befand. Vgl. AMPG, III. Abt., Rep. 45
NL Paneth, Nr. 34 : Paneth an Faraday Society vom 9.12.1941.
348 Vgl. BAB, BDC, Kirsch, Gerhard, 21.6.1890, DS/B 26 : Reichsforschungsrat an Kirsch vom 2.7.1943.
349 Vgl. BAB, BDC, Kirsch, Gerhard, 21.6.1890, DS/B 33 : Fischer an Kirsch vom 22.3.1944.
350 Vgl. BAB, BDC, Kirsch, Gerhard, 21.6.1890, DS/B 26 : Reichsforschungsrat an Kirsch vom 4.1.1945.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369