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Kernforschung für die Alliierten – ein
Epilog310
ten Kirsch daraufhin der Kategorie unzuverlässiger Wissenschaftler zu, dessen experi-
mentellen Forschungsergebnissen nicht zu trauen sei.12 Er und sein Kollege Georg
Stetter waren durch ihre Parteizugehörigkeit zudem schwer belastet und wurden im
Zuge der US-amerikanischen Besatzung von Zell am See unter Arrest gestellt.
Georg Stetter, Willibald Jentschke und Karl Lintner erstellten im Sommer 1945
einen ausführlichen Bericht, in dem sie die Tätigkeit des II. Physikalischen Instituts
der Universität Wien während des Krieges detailgenau beschrieben.13 Ihr Bericht
gelangte auch in die Hände des Büros für Neue Technik in Wien, in dem der sowjeti-
sche Geheimdienst Informationen über die Kernforschung in Österreich auswerte-
te.14 Im August 1945 besuchten US-amerikanische Aufklärungseinheiten erstmals
auch die Physikalischen Institute in Wien. Dort mussten sie feststellen, dass fast alle
Apparaturen bereits von den sowjetischen Sonderkommissionen abtransportiert wor-
den waren. Lediglich am Institut für Radiumforschung waren einige hochwertige
Geräte verblieben.15
Der sowjetische Geheimdienst NKWD beziehungsweise der militärische Nach-
richtendienst der Roten Armee GRU hatten vor der Alsos-Mission das österreichi-
sche Territorium durchkämmt. Sie begannen in Wien nach zurückgelassenen Labor-
gerätschaften zu suchen und sich einen Einblick in die Arbeit des Uranvereins zu
verschaffen. Die einstige Hauptstadt der Republik Österreich war noch vor Berlin
am 13. April 1945 von der Roten Armee eingenommen worden.16 Da die Mehrzahl
der kernphysikalisch arbeitenden Institute während der letzten Kriegsmonate aus
Wien und Graz in die westlichen Landesteile ausgelagert worden war, fand die sow-
jetische Sondermission dort nur Gustav Ortner, Hertha Wambacher, Alfred Bönisch
und den Mechaniker Walter Opawsky vor. Sie wurden nach ersten Vernehmungen
Ende April 1945 nach Moskau gebracht, um dort weiter verhört zu werden.17 Am 2.
August 1945 erhielten sie die Erlaubnis, nach Wien zurückzukehren.18 Auch der im
Frühherbst 1945 aus der US-amerikanischen Besatzungszone nach Wien gekom-
mene Karl Lintner sowie Berta Karlik wurden von Mitgliedern der Sonderkommis-
sion befragt.19
12 Vgl. NARA, RG 77, Box 174, Entry 22 : Memorandum Professor Kirsch, undatiert [1946 ?].
13 Vgl. ADM, Deutsche Berichte zum Atom-Programm 1938–1945, FA 002/Vorl. Nr. 0705 : Bericht über
das II. Physikalische Institut der Wiener Universität derzeit in Thumersbach bei Zell am See, Salzburg
(Austria) (3. Ausfertigung) vom 1.7.1945.
14 Vgl. Karlsch 2012, 146–147.
15 Vgl. NARA, RG 77, Box 165, Entry 22 : Alsos Mission re Chemical Warfare Research vom 10.9.1945.
16 Vgl. Karlsch 2012, 135.
17 Vgl. NARA, RG 77, Box 174, Entry 22 : Russian Interest in Austrian Atomic Research, undatiert [1945].
18 Vgl. NARA, RG 77, Box 174, Entry 22 : Dix an Britt vom 26.10.1945.
19 Vgl. Karlsch 2012, 143 ; NARA, RG 77, Box 174, Entry 22 : Skinner an Shuler vom 15.4.1946.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369