Seite - 313 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Die Alliierten als Arbeitgeber 313
tigen Radiologischen Institut stattfanden.32 Auch Berta Karlik erhielt ihre ersten
Nachkriegsaufträge, elektronische Verstärker für die Erkennung radioaktiver Strahlung
herzustellen, von den sowjetischen Besatzungsbehörden.33
Einen ernsthaften Versuch, beide für Arbeiten im Rahmen des sowjetischen Atom-
bombenprojekts zu rekrutieren, gab es aber nicht. Möglicherweise sprachen das fort-
geschrittene Alter Ortners und die Tatsache, dass er als Institutsleiter während des
Krieges kaum noch selbst geforscht hatte, aus sowjetischer Sicht dagegen, Ortner in-
tensiver zu umwerben. Er selber wollte seine Verbindungen zu den sowjetischen Besat-
zungsbehörden abbrechen, nachdem er ihnen die gewünschten Informationen hatte
zukommen lassen. Hertha Wambacher weigerte sich strikt, das Angebot der sowjeti-
schen Behörden anzunehmen, für sie zu arbeiten.34 Bei Berta Karlik kam es ebenfalls
zu keinen weitergehenden Kooperationen mit der sowjetischen Besatzungsmacht. So-
wohl Karlik als auch Karl Lintner schlugen das Angebot aus, am sowjetischen Kernfor-
schungsprogramm mitzuarbeiten.
Das Verhältnis zwischen Kernforscherinnen und Kernforschern und den sowjeti-
schen und französischen Geheimdiensten war in Österreich vorerst von wechselseiti-
gem Misstrauen und Ambivalenz geprägt. Mit der US-amerikanischen Besatzungs-
macht verbanden sich gerade in den ersten beiden Nachkriegsjahren dagegen große
Hoffnungen, bald wieder ungehindert Kernforschung betreiben zu können. Willibald
Jentschke sprach für viele, die bereit waren für begrenzte Zeit in die USA zu gehen, um
dort für das Militär zu arbeiten. Denn in Österreich gebe es für die meisten keine
Aussichten, eine ihrer Qualifikation angemessene Beschäftigung zu finden. In den USA
erhofften sich Jentschke und viele andere mehr wissenschaftliche Freiheit. Außerdem
vertrauten sie, anders als im Fall der sowjetischen Offerten, darauf, eines Tages nach
Europa zurückkehren zu dürfen.35
Schon bald wurde deutlich, dass die Mehrzahl den Vorstellungen der US-amerika-
nischen Wissenschaftsstrategen nicht genügte. Zwar hatte die Gruppe um Stetter für
die Nachkriegszeit ein umfangreiches kernphysikalisches Forschungsprogramm ins
Auge gefasst ; doch reagierten die US-amerikanischen Besatzer darauf zurückhal-
tend.36 Das im Juli 1945 von den Joint Chiefs of Staff (JCS), dem zentralen Gre-
32 NARA, RG 77, Box 174, Entry 22 : Memorandum, undatiert [1946 ?].
33 Vgl. NARA, RG 77, Box 174, Entry 22 : Subject
– Dr. Hernegger, on 1.8.46.
34 Vgl. NARA, RG 319, Box 31, Entry 134-A : Austrian scientists recommended for inclusion on JIOA list,
undatiert.
35 Vgl. NARA, RG 77, Box 174, Entry 22 : Manhattan Engineer District, Office of the Military Attaché,
American Embassy London, Interview with Dr. Willibald Jentschke vom 29.8.1946.
36 Vgl. OOFR, Mappe Österreich : II. Physikalisches Institut der Universität Wien in Verbindung mit Ar-
beitsgruppen anderer Wiener Hochschulinstitute derzeit : Thumersbach
– Zell am See, Geplante Arbei-
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369