Seite - 325 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Schluss 325
Kernforscher und Kernforscherinnen waren damit auf die Ressourcen des eigenen
Landes zurückgeworfen. Die Verbindung zu den Treibacher Chemischen Werken in
Kärnten konnte den verlorengegangenen direkten Draht nach Brüssel mehr schlecht
als recht kompensieren.
Natürliche Strahlungsquellen verloren als Objekt und Mittel der Forschung seit den
späten 1920er Jahren gegenüber künstlichen Strahlungsquellen an Bedeutung. Lei-
stungsfähige Teilchenbeschleuniger waren teuer, und die wenigsten Kernforscher und
Kernforscherinnen konnten auf staatliche Fördergelder hoffen, um solche großtechni-
schen Geräte für ihre Laboratorien zu beschaffen. Umso wichtiger wurde es für sie, sich
privaten Geldgebern als förderwürdig zu präsentieren. Wie auch in anderen Teilen der
Welt spielte die Rockefeller Foundation in Österreich als Financier der Radioaktivitäts-
und Kernforschung sowie der Höhenstrahlungsforschung eine herausragende Rolle.
Auch die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft beziehungsweise ihre Tochter-
gesellschaft ÖDW engagierte sich stark auf diesen Gebieten. Im zunehmend härteren
Wettbewerb, der in den 1930er Jahren um internationale Forschungsgelder entbrannte,
hatte die Kernforschungsgemeinschaft Österreichs allerdings schlechte Karten. Wirt-
schaftliche, förderstrategische und politische Gründe führten dazu, dass sich ausländi-
sche Geldgeber aus der Radioaktivitäts- und Kernforschung zurückzogen. Die Hoff -
nungen, nach dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich an staatliche Gelder
heranzukommen, um militärische und zivile Aspekte der Kernenergie zu erforschen,
erfüllten sich nur zum Teil. Im Uranverein spielten Kernforscherinnen und Kernfor-
scher aus Wien, Graz und Innsbruck eine marginale Rolle. Fern von den Schaltzentra-
len des nationalsozialistischen Regimes in Berlin, hatten sie im Konkurrenzkampf um
knappe Ressourcen mit ihren deutschen Kollegen das Nachsehen. Bis Kriegsende ge-
lang es nicht, den bereits bestellten und bezahlten Teilchenbeschleuniger in Wien
aufzustellen und in Betrieb zu nehmen. Die Kernforschung blieb auf natürliche Strah-
lungsquellen angewiesen.
Weder in Wien noch in anderen Zentren der Radioaktivitäts- und Kernforschung
beschränkte man sich darauf, radioaktive Präparate ausschließlich selbst zu verwenden.
Vielmehr spielte der Tausch radioaktiver Präparate innerhalb des regionalen wie des
internationalen Netzwerks eine entscheidende Rolle, um Macht und Einfluss in die-
sem Forschungsfeld zu erhalten. Der Tausch folgte unterschiedlichen Regeln, je nach-
dem, um welches Netzwerk es sich handelte und unter welchen Bedingungen er
stattfand.
Das regionale, auf die Österreichisch-Ungarische Monarchie konzentrierte Netz-
werk des Exner-Kreises verband Freunde und ehemalige Kollegen. Die Freundschafts-
ökonomie verpflichtete die Mitglieder des Kreises auch dann zu wechselseitigen Gefäl-
ligkeiten, wenn sie wissenschaftliche oder persönliche Meinungsverschiedenheiten
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369