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schaftspolitischen Weichenstellungen. Sie unterstützten den internationalen Wissen-
schaftsverkehr und formten ihn nach ihren eigenen Regeln. Die Rockefeller Founda-
tion hatte ein besonderes Interesse daran, den Wettbewerb zwischen vielversprechen-
den Laboratorien und die Mobilität herausragender Forscher in Europa und den USA
zu fördern. Eine Zeit lang profitierten auch die österreichischen Universitäten von dem
Förderprogramm der US-Stiftung. Mit US-amerikanischen und deutschen Geldern
wurden in Innsbruck und Graz neue Forschungsschwerpunkte errichtet, die sich inno-
vativen Richtungen wie der Höhenstrahlungsforschung widmeten. Die Peripherie er-
hielt damit erstmals die Gelegenheit, dem Zentrum Wien Ressourcen für die For-
schung bereitzustellen.
Nachdem sich ausländische Geldgeber in den 1930er Jahren aus Österreich zurück-
gezogen hatten und über Jahrzehnte gewachsene Verbindungen zwischen Wissenschaft
und Industrie mit der Vertreibung wichtiger Kontaktpersonen zerrissen waren, muss-
ten sich die in Österreich Verbliebenen nach neuen Kooperationspartnern umsehen.
Der deutsche Uranverein bot Anknüpfungspunkte für ein neues, auf das nationalsozi-
alistische Deutsche Reich bezogenes Netzwerk, dessen Mitglieder auf Ressourcen zu-
rückgreifen konnten, die das nationalsozialistische Regime bereitstellte. Kern- und
Radioaktivitätsforscher und -forscherinnen erhielten Zugang zu Geldern, radioaktiven
Präparaten sowie Publikationen aus dem Reich oder aus den besetzten Gebieten, die
andernorts nicht oder nicht mehr zu beschaffen waren. Doch ihre Rolle hatte sich
grundlegend gewandelt : Sie waren von Gebern in der internationalen Gemeinschaft
zu Empfängern geworden, die im Konkurrenzkampf deutscher Gruppierungen wäh-
rend des Krieges immer stärker marginalisiert wurden.
Die Radioaktivitätsforschung gelangte vom Zentrum Wien über das Netzwerk des
Exner-Kreises in die wissenschaftliche Peripherie der Monarchie. Die meisten Exner-
Schüler (und wenige Schülerinnen) waren sprachlich-kulturell kaum mobil. Dies galt
insbesondere für die erste Generation seiner Schüler, die vor dem Ersten Weltkrieg an
den deutschsprachigen Universitäten des Habsburgerreiches gute Karrierechancen
hatte. Für die zweite Generation war es sehr viel schwerer, sich beruflich in Österreich
zu etablieren. Für die Angehörigen der dritten Generation, das heißt die Schüler und
Schülerinnen derer, die noch bei Franz Serafin Exner studiert hatten, war es in den
1920er und 1930er Jahren fast unmöglich, an den Universitäten Österreichs beruflich
Fuß zu fassen. Dennoch wanderten nur wenige von ihnen dauerhaft ins Ausland ab.
Viele forschten zwar zeitweise in ausländischen Laboratorien, die ebenso wie das Wie-
ner Institut für Radiumforschung Teil des internationalen Netzwerks waren. Marietta
Blau, die mit der deutschen und britischen Fotoindustrie kooperierte und sich durch
ihre industriellen Kontakte wissenschaftliche Freiräume verschaffte, blieb mit ihrer
beruflichen Biographie jedoch die Ausnahme. Die Heimatverbundenheit mehrerer
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369