Seite - 332 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Schluss332
schaftlichen und politischen Zentrum eines Vielvölkerstaats zur Metropole des
Rumpfstaates (Deutsch-)Österreich. Von zahlreichen deutschsprachigen Universitäten
an der wissenschaftlichen Peripherie des Habsburgerreiches, an denen zu radioaktiven
Fragen geforscht wurde, blieben im Österreich der Zwischenkriegszeit lediglich Graz
und Innsbruck übrig. Die politischen Zäsuren wirkten sich auf das wissenschaftliche
Feld aus.
An diese Überlegungen anschließend fragte ich erstens danach, was es speziell für
die Wiener Radioaktivisten und Radioaktivistinnen bedeutete, an einem politisch wie
geographisch marginalisierten Ort zu forschen, der einst zu den einflussreichen Zent-
ren gehört hatte. Welche Spätfolgen hatten die institutionellen Strukturen sowie
Denktraditionen, die in Wien vorherrschten, auf die weitere Entwicklung ? Durch die
politisch motivierte Koordinatenverschiebung von Wien, Graz und Innsbruck verän-
derten sich auch die Forschungsbedingungen innerhalb Österreichs. Es galt daher
zweitens zu fragen, ob und wie sich das Verhältnis Wiens als dem alten und neuen
politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Zentrum Österreichs zu den kleineren
Universitätsstädten Graz und Innsbruck wandelte : Blieb deren peripherer Status im
Hinblick auf die Radioaktivitäts- und Kernforschung erhalten oder gewann die Peri-
pherie gegenüber dem international strauchelnden Wien an Bedeutung ?
Die Studie beschreibt einen Niedergang der Radioaktivitäts- und Kernforschung in
Österreich, der multiple Ursachen hat. Die topographischen und strukturellen Gegeben-
heiten in Österreich waren für die Weiterentwicklung des Forschungsfeldes Segen und
Fluch zugleich. In Wien verfügte man über langjährige Erfahrungen darin, mit Industrie
und Bürokratie zu verhandeln und auf diesem Wege an natürliche Strahlungsquellen zu
gelangen. Der Radiumreichtum trug dazu bei, dass Wien über politische Brüche hinweg
ein international anerkannter Knotenpunkt der Radioaktivitätsforschung blieb. Mit
dem Radiumreichtum verengte sich zugleich aber der epistemische Rahmen, innerhalb
dessen die Radioaktivität erforscht wurde. Wiener Kernforscher und Kernforscherinnen
hielten an ihrer stark physikalisch ausgerichteten Forschung fest und glaubten an die
Leistungsfähigkeit natürlicher Strahlungsquellen, während andernorts schon längst in
Teilchenbeschleuniger investiert und der inhaltliche Fokus der Forschung auf biologi-
sche und medizinische Aspekte der Radioaktivität ausgerichtet wurde. Vergleicht man
Wien mit dem einst an der Peripherie gelegenen Kopenhagen, so scheint sich der ein-
gangs zitierte Befund Rainald von Gizyckis zu bestätigen, dass die Peripherie sich bereits
umzuorientieren und zu wandeln vermag, während das Zentrum noch mit der Last
seiner Traditionen und institutionellen Bindungen zu kämpfen hat.
Was war ausschlaggebend dafür, dass man sich in Wien nur schwer an die veränder-
ten Anforderungen anpassen konnte ? Die Tradition der Wiener Radioaktivitäts- und
Kernforschung fußte zunächst auf dem Willen des Stifters Kupelwieser, der das Institut
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369