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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
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23 des Kinderspiels „Stille Post“, mehrmals, auch in größeren Zeitabständen, wieder- holt werden. Der Geschehensverlauf der märchenähnlichen Geschichte mit dem Titel „The War of the Ghosts“ wich deutlich von der abendländischen Tradition eines Märchens ab. Das Verfahren dieses Experiments wurde von Bartelett als „serielle Reproduktion“ bezeichnet und gewährte interessante Einblicke in den Prozess des Weitererzählens. Mit jeder Reproduktion kam es, wenig überraschend, zu starken Variationen der Erzählung. Bartelett zeichnete diese akribisch auf und konnte im Rahmen einer Analyse der wiederholten Reproduktionen feststellen: Die Geschichte wurde zunehmend kürzer, ihr narrativer Stil zeitgemäßer und schließlich – und dies ist in Bezug auf die Wahrnehmung von Erzählsituationen besonders relevant – bekam sie eine aus europäischer Perspektive logischere und kohärentere Struktur. Die Untersuchung verdeutlichte eine klare Neigung der wei- tererzählenden Personen, die gehörte Geschichte nach einem Prinzip des „Sinn- machens“ zu verdichten, sie also mit eigenem Sinn auszustatten. Bartelett zog daraus den Schluss, dass vorhandene kulturelle Schemata die Wahrnehmung und dementsprechend die Erinnerung in so hohem Maße prägen, dass Fremdes auf subtile Weise zu Eigenem wird.27 Die kulturellen Vorlagen, auf Basis derer Wahrnehmung zustande kommt, sind vielfältig. Sie umfassen etwa spezifische Erzählstrukturen, Rollenbilder oder beschreiben Tabus. Nicht zuletzt spielen gesellschaftliche Faktoren eine Rolle, wie die Fragen nach Klasse, Klassenbewusstsein oder auch dem Bezug zu Kultur, Poli- tik oder ethnischen Problemen verdeutlichen.28 Häufig sind diese Vorlagen auch visueller Art. Der Psychologe und Soziologe Harald Welzer zeigte beispielsweise auf, dass die Wahrnehmung eines Geschehens, von dem dann später berichtet wird, durch mediale Vorlagen strukturiert wird: „Die biographische Erzählung von Zeitzeugen ist sowohl in der Erlebnis- wie in der Berichtsituation nach ver- fügbaren Modellen geformt, die die Erfahrung dann lediglich mit einem so oder so nuancierten Inhalt variiert, um sie für den Erzähler selbst wie für den Zuhö- rer zu einer ‚wahren‘, d.h. selbst erlebten und authentisch berichteten Geschichte zu machen. In diesem Sinne erfinden wohl mehr Geschichten ihre Erzähler als Erzähler ihre Geschichten.“29 So konnten in umfangreichem Interviewmaterial aus Oral-History-Projekten „deutliche Spuren der Wirksamkeit der medialen Bilder- flut auf die individuellen Vergangenheitsbilder“ gefunden werden. Hierbei kann es sich um Fotografien aus Printmedien, Sequenzen aus Spielfilmen oder auch 27 Koch, Thorsten und Harald Welzer: Weitererzählforschung. Zur seriellen Reproduktion erzählter Geschichten. In: Hengartner, Thomas und Brigitta Schmidt-Lauber (Hg.): Leben – Erzählen. Bei- träge zur Erzähl- und Biographieforschung. Hamburg 2005. S. 165–182. Hier S. 166f. 28 Frisch, Michael und Dorothy Watts: Oral History und die Darstellung von Klassenbewußtsein. Die „New York Times“ und die Arbeitslosen von Buffalo. In: Niethammer, Lutz (Hg.): Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“. Frankfurt a. M. 1980. S. 162–186. Hier S. 164. 29 Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung. München 20022. S. 188f.
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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Untertitel
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Verlag
StudienVerlag
Ort
Innsbruck
Datum
2013
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
15.8 x 23.4 cm
Seiten
464
Schlagwörter
Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
Kategorie
Geographie, Land und Leute

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 11
  2. Einführung 13
  3. 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
    1. 1.1. Potenzial und Grenzen des biografischen Interviews 18
    2. 1.2. Entstehung und Funktion von Erinnerungen 22
      1. 1.2.1. Wahrnehmung 22
      2. 1.2.2. Kollektives, kulturelles, kommunikatives, autobiografischesGedächtnis 25
      3. 1.2.3. Erinnerung 29
    3. 1.3. Spezifika von Erzählungen im Rahmen lebensgeschichtlicher Interviews 31
      1. 1.3.1. Vom Erzählen zur Erzählung 32
      2. 1.3.2. Spezifika von Erzählungen im narrativen Interview 34
      3. 1.3.3. Spezifika lebensgeschichtlicher Erzählungen 35
    4. 1.4. Potenzial der Erinnerungserzählungen 42
  4. 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
    1. 2.1. Zur Entstehung des Quellenmaterials 47
      1. 2.1.1. Der Idealtyp des narrativen Interviews und die Praxis 48
      2. 2.1.2. Die Arbeit mit dem erhobenen Quellenmaterial 50
      3. 2.1.3. Statistischer Überblick über die biografischen Interviews 52
    2. 2.2. Erinnerungspraxis und Erzähltradition: Definition und Forschungsziel 55
      1. 2.2.1. Zur Methodik der Auswertung und Analyse 58
      2. 2.2.2. Zur Darstellung der Ergebnisse 60
  5. 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
    1. 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
    2. 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
    3. 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
    4. 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
      1. 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
      2. 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
      3. 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
      4. 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
      5. 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
      6. 3.4.6. Modernisierung 112
      7. 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
      8. 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
      9. 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
      10. 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
      11. 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
      12. 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
      13. 3.4.13. Autoritäten 183
      14. 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
      15. 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
      16. 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
      17. 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
      18. 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
      19. 3.4.19. Repressives NS-System 230
      20. 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
      21. 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
      22. 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
      23. 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
      24. 3.4.24. Gefangenschaft 263
      25. 3.4.25. Heimkehr 268
      26. 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
      27. 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
      28. 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
      29. 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
      30. 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
      31. 3.4.31. Kriegsende 301
      32. 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
      33. 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
      34. 3.4.34. Entnazifizierung 324
      35. 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
      36. 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
      37. 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
      38. 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
      39. 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
      40. 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
      41. 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
      42. 3.4.42. Liebe und Ehe 370
      43. 3.4.43. Geburt der Kinder 381
      44. 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
      45. 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
      46. 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
      47. 3.4.47. Naturkatastrophen 400
      48. 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
      49. 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
      50. 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
  6. 4. Zusammenfassung und Synthese 421
    1. 4.1. Erzählstoffe und Leitlinien 422
      1. 4.1.1. Die 50 Erzählstoffe einer Durchschnittsbiografie 424
      2. 4.1.2. Ein Leben geprägt von Wandel 427
      3. 4.1.3. Arbeit als Lebensthema 428
      4. 4.1.4. Männer- und Frauenerzählungen 429
      5. 4.1.5. Geschichtliches und Lebensgeschichtliches 430
    2. 4.2. Erzählstrukturen und -strategien: Rechtfertigung, Idyllisierung, Vergleich 432
  7. 5. Verzeichnisse und Nachweise 439
    1. 5.1. Liste der anonymisierten ZeitzeugInnen 439
    2. 5.2. Literaturverzeichnis 440
    3. 5.3. Internetquellen 454
    4. 5.4. Abbildungsverzeichnis 454
    5. 5.5. Ortsregister 458
    6. 5.6. Personenregister 461
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