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spricht beispielsweise die Versicherung bei der Arbeit an, die es bis weit über die
Mitte des 20. Jahrhunderts für Montafoner LandwirtInnen kaum gab. Erst Anfang
der 1970er Jahre wurde das Sozialversicherungssystem für die landwirtschaftliche
Bevölkerung vervollständigt – und bedeutete ein bis dato unbekanntes Ausmaß
an sozialer Sicherheit.128 UU erinnert sich, dass ihm das Prinzip einer Versiche-
rung, nämlich Geld zu zahlen für einen nur eventuellen Schadensfall, zu Beginn
gar nicht zusagte:
UU: Ich hab dann eine Motorsäge gekauft und hab den Bauern das Holz
[verarbeitet, Anm.], also die haben so fünf Meter Holz gehabt. […] Dann
hat man sich auch nicht getraut viel zu verlangen. Sie [die Bauern, Anm.]
haben auch kein Geld gehabt. Dann hat der Bürgermeister gesagt – das war
noch der Kessler – „ja, du musst eine Versicherung haben!“ Kinder haben
wir schon gehabt und so. „Du musst eine Versicherung haben!“ Dann hat’s
so Beschäftigungsversicherungen gegeben. Und da hab ich jede Woche von
einem Nachbarn oder von jemanden eine Bestätigung haben müssen, dass ich
einen oder zwei Tage, ich weiß nicht mehr, einen oder zwei Tage, ich kann’s
nicht mehr sagen? Ein oder zwei Tage pro Woche bestätigen lassen? Und das
hab ich bei der Gemeinde wieder abgeben müssen. Dann hab ich wieder eine
Versicherung gehabt. Und für die Versicherung hab ich, eben 61 hab ich im
Herbst noch, zwei oder drei Kühe haben noch Milch gegeben, die anderen sind
trocken gestanden. Dann hab ich die Milch am Rücken runter tragen müssen.
20 Liter Milch runter tragen, dann hab ich ausgerechnet, ja, so viel muss ich
ja zahlen für die Versicherung! 20 Liter Milch hab ich jeden Tag runter tra-
gen müssen um die Versicherung zahlen zu können! Jetzt hab ich gedacht, ja,
Herrgott, das ist aber nicht mehr normal.
Abb. 16: Holzzug mit benzinbetriebener Raupe (Sammlung Bruno Hueber/Montafon Archiv)
128 Böhler: Das Verschwinden der Bauern. S. 92.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439