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KP: Da hat man machen müssen, sagen wir im Frühling, die erste Arbeit
war die Maushaufen Umrechen. Halt die Haufen, die im Winter entstanden
sind, hast du umrechen müssen. Das haben die Kinder, also die Jungen, wie
wir, machen müssen. […] Hat man die Maushaufen zusammenrechen müs-
sen und den Mist ablegen. Aber ich muss dazu sagen, bei uns ist ja steiles
Gelände, da hat man den Mist rauffahren müssen mit dem Aufzug. Aber ohne
Maschinen! Da hat einer aufgeladen und oben ist ein Seil gespannt gewe-
sen, auf und ab, oben eine Rolle und dann haben zwei, drei Leute gezogen
und der ist raufgefahren. Das hat Aufzug geheißen. So hat man den Mist
hinaufgebracht, dann hat man ihn ausbreiten müssen. Ich war der Ausbrei-
ter, die anderen haben ein bisschen ausgleichen müssen. Dann ist gekommen
das Kartoffel Anbauen, Kartoffel Stecken. Einer hat ein Loch gemacht mit
der Haue und der andere hat Kartoffel rein schmeißen müssen. Das sind die
kleinen gewesen, die Jungen. Die Eltern haben die Löcher gemacht und wir
haben halt die Kartoffeln reinschmeißen können. Und so hat man’s gemacht.
Ich kann mich erinnern, da oben haben wir ein Feld gehabt. Am Karfreitag
war das. Hat man auch da machen müssen – da hat man immer am Karfrei-
tag die ersten Kartoffeln gepflanzt. Das ist dazumal so gewesen. […] Danach
– gut, das ist ein Kapitel gewesen – die Erdäpfel waren gesteckt, dann hast du
Heu rauf tragen müssen. Dann hat man als ganz junger Bub schon Mähen
müssen. Da ist man dann um vier Uhr aufgestanden und hat mähen müs-
sen bis sechs, sieben, acht, dann hast du ausbreiten müssen – alles von Hand
natürlich. Dann hat man mal gegessen und nachher ist man das Heu wenden
gegangen. Das neue Heu und das alte – also das, das man gestern gemäht hat
und das, das man heute gemäht hat – und jeden Morgen hat man halt ein
Stück gemäht. Und dann hat man das ausgebreitet, gewendet, am Nachmittag
hat man das dürre Heu, also das vom Vortag, zusammenrechen müssen, ein
Bündel gemacht, alles von Hand. 30, 40 solcher Bündel hat man gemacht am
Tag. Das ist so das Äußerste gewesen. Und schon mit 12, 13 Jahren hast du
so ein Zeug machen müssen. Und am Abend bist du dann ins Bett und am
Morgen wieder aufgestanden und immer wieder das gleiche. Das ist natürlich
nicht wie heute. Heute wird angefangen und in ein, zwei Tagen ist die Sache
gelaufen. Mit den Maschinen geht das schnell. Aber früher bist du zwei, drei
Wochen drangewesen.
In diesem Ausschnitt erzählt KP eingangs eine Anekdote, mit der er auf unter-
haltende Weise vermitteln möchte, wie umfassend man als Kind zur Arbeit auf
der Landwirtschaft herangezogen wurde – und dass er die Schule diesen Arbei-
ten vorgezogen hätte. Auf die Nachfrage der Interviewerin schließlich beginnt KP
die typischen Arbeiten, zu denen Kinder eingeteilt wurden, zu rekonstruieren und
bemüht sich um eine Art Überblick. Zur Verdeutlichung des Wandels streut KP
immer wieder Hinweise auf die heutige Situation, bzw. die zeitliche und kraftmä-
ßige Ersparnis durch diverse Maschinen, ein.
Auch einige andere ZeitzeugInnen erzählen, dass sie lieber in die Schule gegan-
gen wären als zuhause mitarbeiten zu müssen. Der 1924 geborene IJ erwähnt in
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439