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248 einschneidendes Erlebnis mit dem Vater, das ihn am Übergang von seinem Hitler-
jungen-Dasein hin zum Soldatenleben besonders prägte. JJ stellt diese Begebenheit
seinen Ausführungen zu den Kriegserinnerungen voran:
JJ: Also es ist schon eine furchtbare Zeit gewesen. Und ich muss dazu sagen,
wir sind ja als Buben gleich in die Hitlerjugend hinein gekommen. Weil die
Hitlerjugend, da habe ich eben in die … in die Flieger-HJ gekommen. Ja da
habe ich fliegen dürfen. Darum hat mir das ja viel gegeben. Wir sind dabei
auch noch fanatisch geworden. […] Das ist … Du hast das wirklich geglaubt,
dass es die höchste Ehre ist für dich, für Führer, Volk und Vaterland zu ster-
ben. [lacht] Das ist also nicht nur ein Spruch gewesen. Du bist auch mit dem
eingerückt. Und da hat der Papa noch gesagt, wo ich eingerückt bin mit sieb-
zehn Jahren: „Etwas muss ich dir noch sagen: „JJ, loss di net ihäza.“338 Lieber
fünf Minuten feig, als ein ganzes Leben tot.“ Das ist mir so furchtbar gewesen,
dass der Papa so etwas sagen kann.
JJ gibt an einer anderen Stelle seiner lebensgeschichtlichen Erzählung seinem Vater
in dieser Aussage recht und bestätigt, dass die Warnung des Vaters ihn auch im
Kriegsgefecht begleitet hätte. Mit dieser Erzählung stellt JJ einerseits, wie bereits im
vorhergehenden Kapitel angesprochen, dar, wie sehr er als Hitlerjunge zum Opfer
der Kriegspropaganda geworden war und in seinem Fanatismus bereit gewesen
wäre, sein Leben zu geben. Sein Vater nimmt in seiner Darstellung die Rolle des
schützenden oder gar rettenden Helden ein, der sich auch aufgrund seines Alters
nicht so leicht blenden lässt.
Wie bei Lehman und Schröder dokumentiert, sprechen viele ZeitzeugInnen in
Bezug auf ihre Jugend – sie meinen insbesondere die Jahre unter dem National-
sozialismus und des Zweiten Weltkrieges – häufig von „verlorenen Jahren“ oder
einem „gestohlenen Leben“. Nachfolgend sollen sechs Ausschnitte die Dimensio-
nen dieser Aussage dokumentieren:
QJ ♀, geboren 1920, über den „Anschluss“:
QJ: Wir waren damals 18 Jahre alt. Diese Zeit hat uns die schönsten Jugend-
jahre genommen.
SH ♂, geboren 1925, über sein Schicksal als „Zwangsarbeiter“:
SH: Eineinhalb, zwei Jahre hätte ich noch gehabt, da bin ich in die Mittel-
schule gegangen, dann hätte ich können auf die Universität, studieren. Aber
leider ist der Krieg gekommen und alles ist zunichte gegangen. […] Leidergot-
tes, der Krieg hat mir viel Schaden verursacht. Heute hätte ich einen ande-
ren Beruf vielleicht, oder vielleicht könnte ich nicht einmal leben. Aber der
338 JJ, lass dich nicht irgendwo hineinjagen.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439