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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
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293 dargestellten Geste der Güte und Mildtätigkeit gegenüber den armen Männern erhöht. Häufig wird die Unterstützung der Gefangenen damit erklärt, dass man selbst im Ersten Weltkrieg Kriegsgefangener war oder an die angehörigen Soldaten im Zweiten Weltkrieg dachte. Eine weitere Darstellung folgt der eben beschriebenen Mustererzählung in einigen Aspekten und beschreibt eine Art der Solidarisierung mit den Kriegsgefangenen. Der 1933 geborene CC erinnert sich, wie sein Onkel die hart arbeitenden Kriegs- gefangenen durch den Einsatz seines Pferdes unterstützte: CC: Weil es geht zum Beispiel, als sie die Kristbergbahn gebaut haben, die im Silbertal fährt, die hat auch der Hitler gebaut. Und dort haben sie das Holz raus und die Gefangenen draußen haben’s richten müssen. Im Gawatsch haben die Russen das Lager gehabt und die haben das Holz richten müssen. 14, 15 Mann sind da beieinander gewesen. Und ein Innerberger hat auf die aufgepasst. Und dann haben sie das Holz gerichtet. Sie haben ganze Tannen, ganze Längen hat man „uftrölat“385. Die Gefangenen haben das Holz raus- ziehen müssen im Schnee. Ist ja saukalt gewesen. Und dann bin ich halt mit dem Onkel am Samstag, als ich keine Schule gehabt hab, am Abend mit gehen müssen. Dann hat er mal gesagt, „Das kann ich nicht sehen, dass man die Leute so traktiert. Die sind nicht schuldig! Die haben auch einrücken müs- sen, wie wir.“ Dann hat er mit dem geredet und hat gesagt, „Du, sie sollen’s herrichten und ich komm morgen mit dem Ross und zieh’s ihnen raus.“ Und dann ist es gut gewesen. Wir sind mit dem Ross hinein und die sind auch froh gewesen, ist klar. Hat man’s dann raus gezogen. Und mit denen hat man über- haupt kein Problem gehabt. Und die haben draußen selber eine Bergstation gebaut – das haben die Russen gemacht! Auch in dieser Erzählung fehlt nicht der Verweis auf die eigene Soldatengeschichte, die der Onkel CCs mit folgenden Worten formuliert: „Die sind nicht schuldig! Die haben auch einrücken müssen, wie wir.“ Abschließend kann also festgestellt werden, dass die ZeitzeugInnen das Schick- sal der Kriegsgefangenen im Montafon in ihren Erzählungen tendenziell voll Mitgefühl thematisieren und auch sich selbst oder Familienmitglieder als Wohl- täterInnen der gefangenen Männer ins Bild rücken. Ohne den Sachverhalt, wie er in den Erzählungen beschrieben wird, anzuzweifeln, ist diese Perspektive auf die Wahrnehmung der fremden Männer im Tal unverkennbar durch die dazwi- schenliegenden 60 Jahre überprägt. KeinE ZeitzeugIn spricht an, dass hier Kame- raden jener Männer in den Lagern untergebracht waren, die zeitgleich an der Front gegen die eigenen Angehörigen kämpften oder bereits deutsche Soldaten getötet haben könnten. Dieser Aspekt der Kriegsgefangenengeschichten wird, analog zum Aspekt des Tötens im Krieg, völlig ausgeklammert. Im Vordergrund stehen 385 aufgestapelt.
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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Untertitel
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Verlag
StudienVerlag
Ort
Innsbruck
Datum
2013
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
15.8 x 23.4 cm
Seiten
464
Schlagwörter
Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
Kategorie
Geographie, Land und Leute

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 11
  2. Einführung 13
  3. 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
    1. 1.1. Potenzial und Grenzen des biografischen Interviews 18
    2. 1.2. Entstehung und Funktion von Erinnerungen 22
      1. 1.2.1. Wahrnehmung 22
      2. 1.2.2. Kollektives, kulturelles, kommunikatives, autobiografischesGedächtnis 25
      3. 1.2.3. Erinnerung 29
    3. 1.3. Spezifika von Erzählungen im Rahmen lebensgeschichtlicher Interviews 31
      1. 1.3.1. Vom Erzählen zur Erzählung 32
      2. 1.3.2. Spezifika von Erzählungen im narrativen Interview 34
      3. 1.3.3. Spezifika lebensgeschichtlicher Erzählungen 35
    4. 1.4. Potenzial der Erinnerungserzählungen 42
  4. 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
    1. 2.1. Zur Entstehung des Quellenmaterials 47
      1. 2.1.1. Der Idealtyp des narrativen Interviews und die Praxis 48
      2. 2.1.2. Die Arbeit mit dem erhobenen Quellenmaterial 50
      3. 2.1.3. Statistischer Überblick über die biografischen Interviews 52
    2. 2.2. Erinnerungspraxis und Erzähltradition: Definition und Forschungsziel 55
      1. 2.2.1. Zur Methodik der Auswertung und Analyse 58
      2. 2.2.2. Zur Darstellung der Ergebnisse 60
  5. 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
    1. 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
    2. 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
    3. 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
    4. 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
      1. 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
      2. 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
      3. 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
      4. 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
      5. 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
      6. 3.4.6. Modernisierung 112
      7. 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
      8. 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
      9. 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
      10. 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
      11. 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
      12. 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
      13. 3.4.13. Autoritäten 183
      14. 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
      15. 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
      16. 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
      17. 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
      18. 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
      19. 3.4.19. Repressives NS-System 230
      20. 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
      21. 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
      22. 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
      23. 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
      24. 3.4.24. Gefangenschaft 263
      25. 3.4.25. Heimkehr 268
      26. 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
      27. 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
      28. 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
      29. 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
      30. 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
      31. 3.4.31. Kriegsende 301
      32. 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
      33. 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
      34. 3.4.34. Entnazifizierung 324
      35. 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
      36. 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
      37. 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
      38. 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
      39. 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
      40. 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
      41. 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
      42. 3.4.42. Liebe und Ehe 370
      43. 3.4.43. Geburt der Kinder 381
      44. 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
      45. 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
      46. 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
      47. 3.4.47. Naturkatastrophen 400
      48. 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
      49. 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
      50. 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
  6. 4. Zusammenfassung und Synthese 421
    1. 4.1. Erzählstoffe und Leitlinien 422
      1. 4.1.1. Die 50 Erzählstoffe einer Durchschnittsbiografie 424
      2. 4.1.2. Ein Leben geprägt von Wandel 427
      3. 4.1.3. Arbeit als Lebensthema 428
      4. 4.1.4. Männer- und Frauenerzählungen 429
      5. 4.1.5. Geschichtliches und Lebensgeschichtliches 430
    2. 4.2. Erzählstrukturen und -strategien: Rechtfertigung, Idyllisierung, Vergleich 432
  7. 5. Verzeichnisse und Nachweise 439
    1. 5.1. Liste der anonymisierten ZeitzeugInnen 439
    2. 5.2. Literaturverzeichnis 440
    3. 5.3. Internetquellen 454
    4. 5.4. Abbildungsverzeichnis 454
    5. 5.5. Ortsregister 458
    6. 5.6. Personenregister 461
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