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dargestellten Geste der Güte und Mildtätigkeit gegenüber den armen Männern
erhöht. Häufig wird die Unterstützung der Gefangenen damit erklärt, dass man
selbst im Ersten Weltkrieg Kriegsgefangener war oder an die angehörigen Soldaten
im Zweiten Weltkrieg dachte.
Eine weitere Darstellung folgt der eben beschriebenen Mustererzählung in einigen
Aspekten und beschreibt eine Art der Solidarisierung mit den Kriegsgefangenen.
Der 1933 geborene CC erinnert sich, wie sein Onkel die hart arbeitenden Kriegs-
gefangenen durch den Einsatz seines Pferdes unterstützte:
CC: Weil es geht zum Beispiel, als sie die Kristbergbahn gebaut haben, die
im Silbertal fährt, die hat auch der Hitler gebaut. Und dort haben sie das
Holz raus und die Gefangenen draußen haben’s richten müssen. Im Gawatsch
haben die Russen das Lager gehabt und die haben das Holz richten müssen.
14, 15 Mann sind da beieinander gewesen. Und ein Innerberger hat auf die
aufgepasst. Und dann haben sie das Holz gerichtet. Sie haben ganze Tannen,
ganze Längen hat man „uftrölat“385. Die Gefangenen haben das Holz raus-
ziehen müssen im Schnee. Ist ja saukalt gewesen. Und dann bin ich halt mit
dem Onkel am Samstag, als ich keine Schule gehabt hab, am Abend mit gehen
müssen. Dann hat er mal gesagt, „Das kann ich nicht sehen, dass man die
Leute so traktiert. Die sind nicht schuldig! Die haben auch einrücken müs-
sen, wie wir.“ Dann hat er mit dem geredet und hat gesagt, „Du, sie sollen’s
herrichten und ich komm morgen mit dem Ross und zieh’s ihnen raus.“ Und
dann ist es gut gewesen. Wir sind mit dem Ross hinein und die sind auch froh
gewesen, ist klar. Hat man’s dann raus gezogen. Und mit denen hat man über-
haupt kein Problem gehabt. Und die haben draußen selber eine Bergstation
gebaut – das haben die Russen gemacht!
Auch in dieser Erzählung fehlt nicht der Verweis auf die eigene Soldatengeschichte,
die der Onkel CCs mit folgenden Worten formuliert: „Die sind nicht schuldig! Die
haben auch einrücken müssen, wie wir.“
Abschließend kann also festgestellt werden, dass die ZeitzeugInnen das Schick-
sal der Kriegsgefangenen im Montafon in ihren Erzählungen tendenziell voll
Mitgefühl thematisieren und auch sich selbst oder Familienmitglieder als Wohl-
täterInnen der gefangenen Männer ins Bild rücken. Ohne den Sachverhalt, wie
er in den Erzählungen beschrieben wird, anzuzweifeln, ist diese Perspektive auf
die Wahrnehmung der fremden Männer im Tal unverkennbar durch die dazwi-
schenliegenden 60 Jahre überprägt. KeinE ZeitzeugIn spricht an, dass hier Kame-
raden jener Männer in den Lagern untergebracht waren, die zeitgleich an der Front
gegen die eigenen Angehörigen kämpften oder bereits deutsche Soldaten getötet
haben könnten. Dieser Aspekt der Kriegsgefangenengeschichten wird, analog
zum Aspekt des Tötens im Krieg, völlig ausgeklammert. Im Vordergrund stehen
385 aufgestapelt.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439