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das Ende des Krieges vor der Tür gewesen, hätt ich gleich gesagt. Und dann
sind die Partisanen, die da bei uns versteckt gewesen sind, noch immer bei
uns versteckt gewesen. Das ist jetzt noch eine Episode. Da hat’s geheißen, wir
müssen irgendetwas unternehmen, dass da keine fremden Soldaten reinkom-
men können. Na gut, hat man gesagt, dann wird die Straße gesprengt. [lacht]
Da beim „Festeneck“ draußen, wenn du raus fahrst Richtung Schruns, wo’s
dann um die Kurve geht. Ja, gut. Die Partisanen haben das da organisiert
und ich, natürlich als ganz Gescheiter – war ja immer der Dümmste und
der Blödeste, den man mitnehmen hat können – ich hab da als Wächter mit
müssen. Ich hab auf der Straße aufpassen müssen, wenn wer kommt, dann
muss ich pfeifen, dann können sie sich verstecken. Dann bin ich da ein Stück
weiter draußen gestanden, als auf einmal – zu Fuß natürlich, ist ja kein Auto
gefahren! – zwei gekommen sind. Jetzt hab ich gepfiffen! Die sind die drinnen
weggelaufen und ich hab mich auch versteckt und die beiden sind vorbeimar-
schiert. Irgendwie haben sie’s aber überrissen. Auf jeden Fall ist das ein Gen-
darm gewesen und ich weiß nicht wer noch, auf jeden Fall zwei und einer ist
ein Gendarm gewesen. Auf jeden Fall haben sie’s irgendwie überrissen, dass
da was am Laufen ist. Ich weiß nicht, war’s der Pfiff oder irgendwas. Auf jeden
Fall, hat der Gendarm beim „Festeneck“ runtergeschaut und hat angefangen
runterschießen. Mit der Pistole. Die sind natürlich da unten gewesen und
haben sich versteckt. Die haben dann natürlich angefangen rauf zu schießen.
[lacht] Ich weiß noch der Düngler Toni, das ist der Schütze gewesen, der hat
dann rauf geteufelt und so. Dann haben sie gesagt – das weiß ich aber nicht,
das hab ich nicht gesehen – aber die haben gesagt, der Gendarm hätte sich
dann zurückgezogen und sei als kriechender die Straße rauf gerobbt. Ob’s
wahr ist, also ob er gekrochen oder gelaufen ist, das weiß ich nicht. Aber die
haben gesagt, er sei gekrochen. [lacht]
KP schildert, wie er entschied zu desertieren und anschließend zur Gruppe der
„Partisanen“ stieß – wobei seine Darstellung eher an ein Abenteuerspiel junger
Buben erinnert als an die bewaffnete Abwehr einer ernsthaften Bedrohung. Dies
mag auch am selbstironischen Erzählstil KPs liegen, der als „immer der Dümmste
und der Blödeste, den man mitnehmen hat können“ vor allem die Schwierigkeiten
bei der geplanten Aktion aufzeigt: Beauftragt mit der Warnung der Kollegen vor
PassantInnen, macht er ebendiese durch seinen Pfiff ungewollt auf die Gruppe auf-
merksam und provoziert damit einen Schusswechsel, im Rahmen dessen vermut-
lich sogar ein Mensch verletzt wurde. Während die schwankartige, an einen Streich
erinnernde Erzählung KPs einiges über die Zusammenhänge und Beweggründe im
Unklaren lässt, präsentiert der 1925 geborene CY, seines Zeichens ebenfalls „Hei-
matverteidiger“, eine umfassendere Darstellung. Sie beginnt mit der Information
über das Kriegsende, die den im Wald versteckten Deserteuren überbracht wird:
CY: Wie dann der Krieg aus gewesen ist, da hat man uns sofort einen hinauf
geschickt: „Du, der Krieg ist fertig, jetzt könnt ihr herunter kommen“. Und
dann sind wir herunter und beim Dünglers Toni, in seinem … der hat ein
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439