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316 hinaus in den lebensgeschichtlichen Erzählungen Eingang finden. Die drei nach-
folgenden Ausschnitte sollen diesen Erzählstoff verdeutlichen:
HS ♂, geboren 1936:
HS: Die Amerikaner haben hauptsächlich schwarze Soldaten vorausgeschickt.
Das war so das, auf deutsch gesagt das Fußvolk, die die Drecksarbeit vorweg
machen mussten, und in der Gefahr ausgesetzt waren. Und die Franzosen
ebenso. Die haben zuerst die Marokkaner geschickt, und dann sind sie, sind
die Herren selber gekommen. Es war damals ziemlich noch Kolonialzeit. Und
die mussten zuerst den Schädel hinhalten. Und dann sind die Herren gekom-
men. Und dass die mit ihren Leuten auch nicht fein umgegangen sind, ist auch
eine Geschichte. Es ist eines Tages … Ich meine, anscheinend haben die niede-
ren Soldaten auch wenig zu essen bekommen. Und da ist eines Tages einmal
so ein marokkanischer Soldat auf den Bauernhof gekommen und hat gebeten,
mit Händen und Füßen sich verständlich gemacht, ob er Eier kaufen kann.
Gleich gezeigt, er möchte bezahlen. Und hat dann auch so ein Säckchen Eier
mitbekommen, und hat das gezahlt und ist gegangen. Und wir haben dann
nachgeschaut. Und da kommt ein französischer Offizier entgegen. Und aus
der Ferne hat man gesehen, der spricht … wahrscheinlich hat er ihn gefragt,
was er da in dem Haus gemacht hat, was er gemacht hat und so weiter. Und
auf einmal zieht der die Peitsche, haut zuerst einmal dem das Säckchen Eier
aus der Hand auf den Boden hinunter, und zieht dem über den Rücken hinun-
ter, und der ist davon gelaufen. Also die sind mit ihren Leuten auch nicht fein
umgegangen. Mit uns haben haben sie keine Probleme gehabt.
TT ♂, geboren 1922:
TT: Die französische Besatzung … Bei uns war das Offizierskasino. Und die
Marokkaner haben gekocht für die. Da habe ich eine Erinnerung, ja. Die
Marokkaner haben sich als unsere Verbündeten, vom Ding, angesehen. Die
waren gegen die Franzosen, und haben sich eher als unsere Verbündeten
angeschaut. Und ich kann mich genau erinnern, unsere Familie – wir haben
eigentlich gelebt von den Franzosen, die ersten Monate, oder. Die Marokka-
ner haben für uns immer etwas abgezweigt, zum Essen. Und die haben dann
immer, als Zeichen wie sie die französischen Offiziere nicht mögen, da haben
sie, wenn sie in die Küche hineingekommen sind, haben sie ein Schnitzel oder
so was, auf den Boden geworfen, sind mit den Füßen draufgestiegen, und sind
hinein und haben gegrinst über das ganze Gesicht, wenn sie es denen so ser-
viert haben. Das sind zwar blöde Sachen, aber das war so! [lacht]
JJ ♂, geboren 1927:
JJ: Und in Schruns ist eine Garnison gewesen, [unterbrochen durch Kassetten-
wechsel] haben sie eine, weil es geheißen hat, die hat kein Licht mit, haben sie
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439