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Geographie, Land und Leute
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
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361 WD: Da ist man auf den Bahnhof hinauf, mit dem vierrädrigen „Kärrili“, mit dem Leiterwagen ist man zum Bahnhof hinauf und hat sie abgefangen. Man hat einfach geschaut, wer sucht ein Zimmer, und so. Dann hat man sie heim- gebracht. […] Kommt er an einem Abend mit zwei Holländern daher, mit zwei großmächtigen Leuten durch die Küchentür, über die Stiegen herauf. Die haben sich müssen bücken, so nieder ist es gewesen im alten Haus. Und wir haben gesagt, „wenn ihr möchtet, könnt ihr bei uns mitessen“. Und die haben gleich mitgegessen. Und die Frau ist immer auf dem Kanapee gehockt und ich bin hinten im Winkel beim Herd gewesen. Und immer habe ich sie gesehen, etwas auf den Zettel schreiben, immer hat sie etwas geschrieben und geschrie- ben. Und dann ist Weihnachten gekommen, und ein riesengroßes Paket! Ein Schneidemesser, ein Schneidebrett, ein großer Pack Wolle, ein wollener Stoff für mich und ein Rock, ein fix und fertig gestricktes „Tschöpli“ fürs Büabli, das ist damals neun Monate gewesen, da habe ich noch Bilder, wo sie das alles geschickt hat. Spielzeug ist drin gewesen. Und so ist keine Weihnacht vergangen, ohne dass wir nicht von diesen Leuten etwas geschickt bekommen haben. Und auch zum Geburtstag. Und eines Tages haben sie uns eingeladen – da ist der Z. vier Jahre alt gewesen – nach Holland zu kommen. Die Fahrt haben wir müssen selber zahlen, aber in Holland hat man uns sogar Sackgeld gegeben, und zwei Fahrräder von ihnen, und wo wir ins Haus gekommen sind, haben wir groß geschaut: Derweil ist das der Chefsekretär gewesen von der Regierung! Ein wunderschönes Haus, Teppiche bis zum Dachboden hin- auf, ein dreistöckiges Haus, also einfach … Behandelt hat man uns als wie das eigene Kind – besser als das eigene Kind. Wenn wir am Abend ins Bett sind, hat er uns unter uns im großen Salon Wiener Walzer gespielt auf seinem Klavier. Sind alle schon tot. […] Und das ist bei uns geworden wie bei einer großen Familie. Und dadurch ist dieses Holland für uns so eine freundschaft- liche Sache geworden. Diese Erzählung erinnert an das Sagenmotiv vom (meist ärmlich gekleideten und bettelnden) Fremden, der die Gastlichkeit der Herbergsleute schließlich mit reich- lichen Geschenken dankt. Entlang dieses Spannungsbogens baut auch WD ihre Geschichte auf: Unbekannte werden herzlich im ärmlichen alten Haus aufgenom- men, die Gäste beschenken die Familie danach überraschenderweise viele Jahre reichlich, und als WDs Familie eine Einladung nach Holland erhält, löst sich das Rätsel der üppigen Geschenke und Anteilnahme quasi auf: Die einstigen Gäste sind hohe Beamte, reich, und nicht zuletzt zuvorkommend. Dass man unter dem eigenen Dach reiche, berühmte oder wichtige Leute beher- bergte, ist ein beliebtes Motiv in den Erzählungen von VermieterInnen. AA bei- spielsweise erwähnt beiläufig, einmal den österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg in seinem Hause beherbergt zu haben. Bekanntschaft mit Promi- nenten gemacht zu haben, ist allgemein in lebensgeschichtlichen Erzählungen ein beliebtes Motiv. Außergewöhnliches, Nicht-Alltägliches wird ganz selbstverständ- lich als erzählenswert erachtet, gleichzeitig ermöglichen einzigartige Erlebnisse,
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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Untertitel
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Verlag
StudienVerlag
Ort
Innsbruck
Datum
2013
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
15.8 x 23.4 cm
Seiten
464
Schlagwörter
Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
Kategorie
Geographie, Land und Leute

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 11
  2. Einführung 13
  3. 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
    1. 1.1. Potenzial und Grenzen des biografischen Interviews 18
    2. 1.2. Entstehung und Funktion von Erinnerungen 22
      1. 1.2.1. Wahrnehmung 22
      2. 1.2.2. Kollektives, kulturelles, kommunikatives, autobiografischesGedächtnis 25
      3. 1.2.3. Erinnerung 29
    3. 1.3. Spezifika von Erzählungen im Rahmen lebensgeschichtlicher Interviews 31
      1. 1.3.1. Vom Erzählen zur Erzählung 32
      2. 1.3.2. Spezifika von Erzählungen im narrativen Interview 34
      3. 1.3.3. Spezifika lebensgeschichtlicher Erzählungen 35
    4. 1.4. Potenzial der Erinnerungserzählungen 42
  4. 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
    1. 2.1. Zur Entstehung des Quellenmaterials 47
      1. 2.1.1. Der Idealtyp des narrativen Interviews und die Praxis 48
      2. 2.1.2. Die Arbeit mit dem erhobenen Quellenmaterial 50
      3. 2.1.3. Statistischer Überblick über die biografischen Interviews 52
    2. 2.2. Erinnerungspraxis und Erzähltradition: Definition und Forschungsziel 55
      1. 2.2.1. Zur Methodik der Auswertung und Analyse 58
      2. 2.2.2. Zur Darstellung der Ergebnisse 60
  5. 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
    1. 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
    2. 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
    3. 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
    4. 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
      1. 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
      2. 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
      3. 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
      4. 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
      5. 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
      6. 3.4.6. Modernisierung 112
      7. 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
      8. 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
      9. 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
      10. 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
      11. 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
      12. 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
      13. 3.4.13. Autoritäten 183
      14. 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
      15. 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
      16. 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
      17. 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
      18. 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
      19. 3.4.19. Repressives NS-System 230
      20. 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
      21. 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
      22. 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
      23. 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
      24. 3.4.24. Gefangenschaft 263
      25. 3.4.25. Heimkehr 268
      26. 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
      27. 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
      28. 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
      29. 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
      30. 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
      31. 3.4.31. Kriegsende 301
      32. 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
      33. 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
      34. 3.4.34. Entnazifizierung 324
      35. 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
      36. 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
      37. 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
      38. 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
      39. 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
      40. 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
      41. 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
      42. 3.4.42. Liebe und Ehe 370
      43. 3.4.43. Geburt der Kinder 381
      44. 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
      45. 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
      46. 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
      47. 3.4.47. Naturkatastrophen 400
      48. 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
      49. 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
      50. 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
  6. 4. Zusammenfassung und Synthese 421
    1. 4.1. Erzählstoffe und Leitlinien 422
      1. 4.1.1. Die 50 Erzählstoffe einer Durchschnittsbiografie 424
      2. 4.1.2. Ein Leben geprägt von Wandel 427
      3. 4.1.3. Arbeit als Lebensthema 428
      4. 4.1.4. Männer- und Frauenerzählungen 429
      5. 4.1.5. Geschichtliches und Lebensgeschichtliches 430
    2. 4.2. Erzählstrukturen und -strategien: Rechtfertigung, Idyllisierung, Vergleich 432
  7. 5. Verzeichnisse und Nachweise 439
    1. 5.1. Liste der anonymisierten ZeitzeugInnen 439
    2. 5.2. Literaturverzeichnis 440
    3. 5.3. Internetquellen 454
    4. 5.4. Abbildungsverzeichnis 454
    5. 5.5. Ortsregister 458
    6. 5.6. Personenregister 461
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