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In beiden eben angesprochenen Sammelbänden kommen allerdings auch
Autoren zu Wort, die den Begriff „Austrofaschismus“ für nur eingeschränkt
brauchbar halten.46 Unter diesen ist besonders Helmut Wohnout als stete
Referenz wichtig, der sich seit seiner 1990 vorgelegten Wiener Dissertation
zur Verfassungstheorie und zur Herrschaftspraxis im autoritären Öster-
reich47 durch weiterführende Studien derart profiliert (und qualifiziert) hat,
dass er auch von den wissenschaftlichen Gegnern nicht mehr übergangen
werden kann.48 Zentrale von ihm gewonnene Einsichten verdichten sich in
der Formulierung, dass es auf dem Weg, den Österreich nach dem 4. März
1933 nahm, keinen „Masterplan“ gab, sondern dass ein „Schneeballeffekt“
wirksam geworden sei.49 Und, ein weiteres „heißes Eisen“: Das Ende der par-
lamentarischen Demokratie könne nur in Zusammenhang mit den Entwick-
lungen in Deutschland und in Italien gesehen werden.50
Man erkennt die beiden hiermit in aller Kürze vorgestellten Interpretati-
onsgemeinschaften schon an der Diktion: Die eine schreibt das Wort „Stän-
destaat“, soweit objektsprachlich verwendet, ohne Anführungszeichen, gibt
aber durch die Verwendung derselben für „Austrofaschismus“ ihre Distanz
zu dieser in der Regel mit einem Schuldspruch verbundenen Deutung zu er-
kennen, die andere handhabt es genau umgekehrt. Im Einzelnen wären frei-
lich auf beiden Seiten viele Modifizierungen und Differenzierungen zu be-
rücksichtigen, insbesondere weit ausholende Überlegungen zu Begriffen wie
„Halbfaschismus“, „Imitationsfaschismus“, „Demokratie“, „Diktatur“, „Krisen-
diktatur“, „autoritär“, „totalitär“, „repressiv“, „antimodern“ …51 Aus der ame-
rikanischen Außenperspektive ist die christliche Prägung des österreichischen
Ständestaats das Hauptargument gegen den Faschismusvorwurf.52
46 Am deutlichsten: ebner, Politische Katholizismen 159; thaler, Legitimismus, 70.
47 wohnout, Verfassungstheorie.
48 wohnout, Anatomie, 962 f.
49 wohnout, Schritte, 51.
50 wohnout, Schritte, 71.
51 Entsprechende Bemühungen sind mittlerweile Legion; sie finden sich auch in den Einlei-
tungen zu Arbeiten über Teilaspekte, wobei, je nach dem Charakter des jeweiligen Verfas-
sers, unterschiedliche Grade des Engagements erkennbar sind. Sie alle hier zu nennen,
führte zu weit, aber einige besonders markante Positionen seien angeführt. Die Faschis-
musthese vertreten (in hohem Maße): falle, Wurzeln, 19–22 und 137; hauch, Vom Andro-
zentrismus, 351; höcK, Medienpolitik, 38–41; Kraus, „Volksvertreter“, 13–17; mittelmeier,
Austrofaschismus, 142 f.; sonnleitner, Widerstand, 25–34; Vorbehalte gegen die Faschis-
musthese haben botZ, Gewalt, 234–246; JedlicKa, Vom alten, 219 f.; Kindermann/rumPler/
liebmann/hanisch, Politik, 88 f. (E. hanisch) und 102 (H. rumPler); Kriechbaumer, Front,
35–44; reichhold, Kampf, 71–73 und 383–389; tancsits, Katholischer Widerstand, 257;
voGel, Reflektiertes Geschichtsbewusstsein, 46–57.
52 Ihm wird das Verdienst bescheinigt, „to realize Catholic social principles, probably more
fervently than any regime in Europe“; connelly, From Enemy, 107.
1. DAS
ERKENNTNISINTERESSE24
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580