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ten zwischen „Austrofaschismus“ und Nationalsozialismus101 und sprach bei
Ersterem von einer „katholisch-faschisierenden Ideologie“.102
Oliver Rathkolb, um auch noch die rezenteste, um Sachlichkeit bemühte
Überblicksdarstellung zu berücksichtigen, handelt die Jahre 1933–1938
ebenfalls im Geist der geltenden Meistererzählung ab: Das Wort „Stän-
destaat“ setzt er unter Anführungszeichen103; die von ihm bevorzugte, gleich-
sam selbstverständliche Terminologie ist „austrofaschistisches Regime“104,
und bei der Beschreibung der schon länger bestehenden politischen Lager
bringt er die Begriffe „rechtskonservativ“ und „bürgerlich“ in engen Zusam-
menhang.105 Im März 1933 sei eine „Kanzlerdiktatur“ entstanden106 (daher
auch die Bezeichnung „Kanzlerdiktator“107). Die politischen Maximen von
Dollfuß beschreibt er mit „setzte […] auf die faschistische Karte“108 und ak-
zentuiert die Nähe der von ihm geführten Regierung zu Mussolinis Italien.109
Betreffend die Person Schuschniggs konzediert er zwar, dass dieser 1936 un-
ter großem innen- und außenpolitischen Druck von Seiten der Nationalsozia-
listen gestanden habe, erklärt seine Politik aber auch aus einer „zögerlichen
und deutschfreundlichen Haltung“110, ja er habe versucht, „Deutschland zu
kopieren“111 – eine schwer nachvollziehbare Gleichsetzung von „Deutsch-
land“ und „NS-Deutschland“. Für beide Kanzler gilt der sehr endgültig klin-
gende Satz: „Der Alltag des sogenannten austrofaschistischen Regimes war
eigentlich nur von einer konsequent durchgeführten Politik geprägt: Aus-
schaltung der ‚Linken‘.“112
Die Sorge vor einer „Verharmlosung“ bzw. einer „verklärenden“ Sicht des
Ständestaats113 ist vor allem im sozialdemokratischen Milieu vorhanden,
meist verbunden mit dem Hinweis auf Parallelen zwischen „Austrofaschis-
mus“ und Nationalsozialismus114 und mit der These, jener hätte dem „An-
101 Kreissler, Kultur, 136 f.
102 Kreissler, Kultur, 146.
103 rathKolb, Erste Republik, 510.
104 rathKolb, Erste Republik, 496, 502, 508 u. a.
105 rathKolb, Erste Republik, 494.
106 rathKolb, Erste Republik, 480.
107 rathKolb, Erste Republik, 481.
108 rathKolb, Erste Republik, 504.
109 rathKolb, Erste Republik, 499–501.
110 rathKolb, Erste Republik, 481.
111 rathKolb, Erste Republik, 503.
112 rathKolb, Erste Republik, 503.
113 sonnleitner, Widerstand, 25 und 37 f.
114 Ablehnung von Marxismus und Liberalismus, hohe Bedeutung der Wehrverbände, Ver-
such umfassender Integration der Volksgemeinschaft, Gemeinsamkeiten im Vokabular;
hanisch, Der lange Schatten, 311– 313; schretter, Das ideologische Nahverhältnis, 26 f.
1. DAS
ERKENNTNISINTERESSE30
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580