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weiterer Raum auszuleuchten als der durch das Stichwort „Stand“ allein
gekennzeichnete.
Die Komplexität der Thematik zeigt sich nicht zuletzt am Faktum, dass
gesellschaftspolitische Fragen in den Reihen der konservativen Zeitgenos-
sen bei allem Gleichklang im Grundsätzlichen in den Details unterschiedlich
bewertet wurden – wie überhaupt von weltanschaulicher Homogenität nur
mit Vorbehalt gesprochen werden kann. Unter der Oberfläche gab es Inte-
ressengruppen224, die zum Teil auch gegeneinander operierten.225 Interessant
sind manche durchaus kritische Äußerungen von Mandataren über andere
Mandatare.226
Als heuristisch einschränkend erweist sich der Umstand, dass der „An-
schluss“ bereits zu einer Zeit erfolgte, da das groß angelegte Konzept nicht
einmal in Ansätzen umgesetzt war. Den politischen Protagonisten der Zeit
war die Vorläufigkeit all dessen, was sie taten, bewusst.227 Bei den Manda-
taren kommt hinzu, dass ihre Handlungsspielräume eng waren. Dass es sich
gleichwohl um sehr ernst zu nehmende (und genommene) Persönlichkeiten
handelte, zeigt schon allein der Umstand, dass gerade die profiliertesten
unter ihnen im April 1938 in sogenannten Prominententransporten nach
Dachau gebracht wurden.228 Auch Karl D. Brachers im Vergleich gewonnene
Erkenntnis, dass in Österreich demokratische Optionen länger bestanden
hätten als in Deutschland, dass das Wählerpotential für den Radikalismus
kleiner gewesen sei und – dies vor allem – dass personale Aspekte eine un-
gleich größere Bedeutung gehabt hätten229, weckt das Interesse an dem, was
in den politischen Akteuren vorging, die in Gestalt einer „Krisendiktatur“
eine besondere Variante der Kriegsregime in den kleineren Nachkriegs-
demokratien realisierten.230
224 Zur soziologischen Zusammensetzung der Regierungen vgl. stimmer, Eliten, 824–840.
225 enderle-burcel/neubauer-cZettl, Staat im Umbruch, 424; sPielhofer, Pressefreiheit, 149.
226 Friedrich Funder stellte zu Edmund Glaise von Horstenau fest: „Ein springlebendiges
Temperament, sympathisch, vielseitig gebildet, politisch zwischen Christlichsozialen und
Deutschnationalen stehend, der Typus des wohltrainierten Intellektuellen, begabt mit den
Vorzügen und Schwächen des Österreichers.“; funder, Sturm, 246 f.; der auf diese Weise
Beurteilte ging selbst mit seinen Zeitgenossen hart ins Gericht; Guido Zernatto warf er „na-
menlosen Ehrgeiz“ vor und nannte ihn einen „Bajazzo“, den er nicht ernst nehmen könne;
Glaise-horstenau, Erinnerungen, 154.
227 adam, Die neue Taktik, 31; braun, Der politische Lebensweg, 248; dachs, Franz Rehrl, 249;
meister, Der Staatslenker, 88 f.; Zernatto, Die Wahrheit, 98; vgl. auch P. berGer, Kurze
Geschichte, 153; tálos, Herrschaftssystem (2013), 96; wiltscheGG, Heimwehr, 101.
228 G. hartmann, CV, 149 f.; zu den in der österreichischen Forschung lange vernachlässigten
Details vgl. Kindermann, Österreich, 337–340.
229 bracher, Zwischen Machtvakuum, 218.
230 bracher, Zwischen Machtvakuum, 212.
1.3 DAS ARBEITSVORHABEN 43
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580