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lation der Konventionen zu rechnen6, und sie hälfen zu verstehen, dass sich
eine Kohärenz geschlossener Systeme im Sinn einer „reinen Lehre“ nicht
erzwingen lässt.7 In diesem Sinne richtet sich das Augenmerk auf die gesell-
schaftliche Konstituierung von Wissen und Wirklichkeit, auf das, was hinter
dem Subjekt steht, auf leitende, das öffentliche Interesse prägende und das
politische Verhalten legitimierende Merkmale.8
Dies wird im sogenannten Diskurs greifbar. Hier kommt ein neues, im
Zuge des linguistic turn gewachsenes Verständnis von Sprache zur Geltung,
die nicht bloßes Aussagemittel oder Reflex der Wirklichkeit sei, sondern et-
was, das diese selbst konstituiert.9 Das Verhältnis zwischen Kontext und
einzelner Äußerung ist nicht als ein kausales oder hierarchisches, sondern
als ein auf Wechselseitigkeit beruhendes zu verstehen.10 Diskurs setzt die
Grundannahme voraus, dass bestehende Strukturen zugleich perpetuiert
und verändert werden.11 Besondere Aufmerksamkeit gilt illokutionären
Sprechakten, also der Rekonstruktion der mit den (auch materiellen) Hand-
lungen verbundenen Intentionen.12
Ziel der Historischen Diskursanalyse ist es, Wissens-, Wirklichkeits- und
Rationalitätsstrukturen vergangener Gesellschaften aufzudecken und zu
analysieren, indem sie Gegebenheiten in den Blick nimmt, die zu einem
bestimmten Zeitpunkt als „wahr“ gelten.13 In diesem auf der synchronen
Ebene angesiedelten Verfahren, das „Systeme der Streuung“ beschreibt, soll
Selbstverständliches bewusst gemacht werden.14
Die Facetten des Verhältnisses zwischen dem Subjekt und der überindi-
viduellen Realität, in die es eingebunden ist, sind von den Klassikern der
landwehr, Historische Diskursanalyse, 35; lottes, Neue Ideengeschichte, 267 f.; mulsow/
mahler, Einleitung, 7 f.; noiriel, Die Wiederkehr, 366; schorn-schütte, Neue Geistesge-
schichte, 273–276; stollberG-rilinGer, Einleitung, 17.
6 hamPsher-monK, Ideengeschichte, 299; hellmuth/schmidt, Pocock, Skinner, 271; M. rich-
ter, Zur Rekonstruktion, 153–155.
7 sKinner, Bedeutung, 69–74.
8 anGermüller, Einleitung, 8 f.; iGGers, Zur „Linguistischen Wende“, 562–564; landwehr,
Historische Diskursanalyse, 18, 33 f. und 91–93; moser, Konstruktivistisch Forschen?, 19;
sarasin, Geschichtswissenschaft, 28.
9 foucault, Archäologie, 116; vgl. hamPsher-monK, Ideengeschichte, 295; hellmuth/von eh-
renstein, Intellectual History, 156; höhne, „Alles konstruiert, oder was?, 29–31; landwehr,
Historische Diskursanalyse, 21 und 50 f.; M. richter, Zur Rekonstruktion, 143–145; sa-
rasin, Geschichtswissenschaft, 11 f.; sarasin, Diskursanalyse, 56; schorn-schütte, Neue
Geistesgeschichte, 276; stollberG-rilinGer, Einleitung, 22.
10 landwehr, Historische Diskursanalyse, 105 f., 127 und 162.
11 landwehr, Historische Diskursanalyse, 94–96.
12 bevir, Geist, 212–214; mulsow/mahler, Einleitung, 9 f.
13 foucault, Archäologie, 243; vgl. landwehr, Historische Diskursanalyse, 20.
14 foucault, Archäologie, 57 f.; vgl. busse/teubert, Diskurs, 24; daniel, Kompendium, 353.
2. ZUR
METHODE46
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580