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die Thematik im engeren Sinn einschlägige Periodika gemacht, nämlich Die
Monarchie/Das Neue Reich (1918–1931), Schönere Zukunft (1925–1938),
Ständisches Leben (1931–1937), Der christliche Ständestaat (1933–1938)
und Monatsschrift für Kultur und Politik (1936–1938). Diese werden syste-
matisch durchgesehen106 – so wie auch monographische Arbeiten der darin
vertretenen Autoren herangezogen werden. Hier ergibt sich eine insgesamt
heterogene Gruppe, in der bedeutende, sehr bekannte Denker neben völlig
unbekannten stehen.107
Den Kreis der den Diskurs tragenden Personen in dieser Weise zu erwei-
tern, gebieten die epistemischen und methodischen Vorgaben der Histori-
schen Diskursanalyse, die thematischen Zusammenhängen einen höheren
Stellenwert beimessen als bestimmten Institutionen oder Personengrup-
pen.108 Berücksichtigung finden daher auch die einschlägigen Äußerungen
der Bundeskanzler Ignaz Seipel (1922–1924, 1926–1929), Engelbert Dollfuß
(1932–1934) und Kurt Schuschnigg (1934–1938): Ersterer war ein wichtiger
geistiger Wegbereiter des Ständestaates, Letztere nahmen alle politischen
Weichenstellungen vor. Aufmerksamkeit verdienen zudem Verfassungsmi-
nister Otto Ender und andere politische Protagonisten der Zeit, auch sol-
che, die das System nur teilweise mittrugen. Hoch zu veranschlagen ist der
Einfluss der Vordenker der katholischen Soziallehre109, wie Karl Freiherr
von Vogelsang, Franz Martin Schindler, Albert M. Weiss, Heinrich Pesch,
Oswald von Nell-Breuning, Gustav Gundlach, Johannes Messner, Anton
Orel und Ernst Karl Winter.110
Angesichts zahlreicher unmittelbarer Einflüsse oder auffälliger Paral-
lelen werden außerdem, von den fallweise berücksichtigten großen Namen
der Zeit wie Oswald Spengler, Hugo von Hofmannsthal oder Thomas Mann
abgesehen, prominente Vertreter des zeitgenössischen Geisteslebens, ins-
besondere Othmar Spann und Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi,
systematisch analysiert. Ersterer schuf wichtige Grundlagen für die Stän-
detheorie, Letzterer befasste sich mit dieser nicht direkt, sein Denken wies
aber so zahlreiche Affinitäten zu dem vieler Mandatare auf, dass es sinn-
voll erscheint, diese freizulegen. Dasselbe gilt für die Herausgeber wichtiger
Periodika wie Dietrich von Hildebrand und Josef Eberle, außerdem für den
Philosophen Max Scheler und den Dichter Leopold von Andrian.
106 Vgl. Kap. 10.2.
107 Vgl. Kap. 10.4.
108 landwehr, Historische Diskursanalyse, 101.
109 Zur Definition vgl. lindGens, Die politischen Implikationen, 83 f.; zu den Berührungspunk-
ten mit der Ständethematik vgl. P. nolte, Ständische Ordnung, 242–246.
110 reitmayer, Politisch-soziale Ordnungsentwürfe, 52. 2. ZUR
METHODE56
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580