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und privaten Lebens in Österreich an die katholische Kirche“ im Gang192;
die Regierung erhebe einen katholischen Absolutheitsanspruch.193 In der
VF komme der „totalitäre Grundzug“ des politischen Katholizismus zum
Tragen, es herrsche Gesinnungszwang194 und es werde jeglicher kulturelle
Liberalismus verweigert.195 Die zentralen Kritikpunkte lauteten: Beitritts-
druck, Organisation nach dem Führerprinzip, oligarchische Struktur, Per-
sonalunion mit der Staatsführung, autokratisch-absoluter Staat.196 Ungern
sah man außerdem die politische Zusammenarbeit Österreichs mit Italien
und die positiven Stimmen zur österreichischen Maiverfassung, die aus
Frankreich kamen.197 Der Begriff „vaterländisch“ habe als „vorbehaltlose
und bedingungslose Unterwerfung unter die politischen Ziele“ einer klei-
nen Gruppe von Menschen eine durch nichts zu rechtfertigende Umdeutung
erfahren; dass dieses Kriterium zur Voraussetzung für die Beteiligung am
öffentlichen Leben erhoben worden sei, widerspreche den Lehren des Chris-
tentums.198 Es musste den Superintendenten daher hart treffen, dass 72
Prozent der evangelischen Theologen der VF angehörten.199 Am 26. Septem-
ber 1935 brachte er in einem an alle Pfarrämter gerichteten Rundschreiben
seine persönlichen Vorbehalte gegen den Erlass des Oberkirchenrates an
die geistlichen Amtsträger zum Beitritt zur VF zum Ausdruck200, und in ei-
nem Briefwechsel mit Generalsekretär Walter Adam fand er ebenfalls klare
Worte des Missfallens.201
Es gab freilich auch evangelische Geistliche, die den Nationalsozialismus
als die größere Gefahr betrachteten als das österreichische politische Sys-
tem.202 Erich Stoekl, der Vertreter der evangelischen Kirche im BKR, be-
scheinigte dieser eine starke integrative Kraft – also das, was zu schaffen
eines der Anliegen des Ständestaates war. Vor allem am Land umfasse jede
Gemeinde „Glieder jedweden Berufs, ein Spiegelbild der Wirklichkeit des Le-
bens, auch der Verschiedenheit des politischen Bekenntnisses der Gemein-
deglieder. Man mag darüber Klage führen. Man kann aber auch – und ich
192 aebi et al., Gegenreformation, 24; vgl. ebner, Politische Katholizismen, 177.
193 aebi et al., Gegenreformation, 26–39.
194 aebi et al., Gegenreformation, 104–108.
195 aebi et al., Gegenreformation, 43–47.
196 aebi et al., Gegenreformation, 86–98 und 116–176; vgl. tálos, Herrschaftssystem (2013),
255 f.
197 aebi et al., Gegenreformation, 41 f.; die Maiverfassung widerspreche allen Grundsätzen der
Demokratie; ebd., 49–83.
198 aebi et al., Gegenreformation, 83–85.
199 barton, Evangelisch, 170.
200 aebi et al., Gegenreformation, 98–100.
201 aebi et al., Gegenreformation, 101–104.
202 reinGrabner, Protestanten, 267; G. P. schwarZ, Ständestaat, 73.
3.1 ÖSTERREICH 1918–1938 77
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580