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will es – darin einen besonderen Vorzug sehen, dass, soweit die politischen
Gegensätze die Menschen, die auf demselben Schicksals- und Arbeitsgebiet
zusammengedrängt sind, voneinander trennen mögen, unsere Gemeinden
[...] so verschiedenen Menschen geistliche Herberge zu geben imstande sind
und dadurch wirklich Gemeinden – etwas Grundverschiedenes als Ver-
eine –, das heißt eine Vielheit [...] sind.“203
Ein weiterer evangelischer Geistlicher, der loyal zum Ständestaat stand,
war Jakob Ernst Koch; dass ihn der CS als „bodenständigen Österreicher“
bezeichnete, der dem evangelischen Christentum zu hoher Wertschätzung
verhelfe, steht für den ehrlichen Willen zur Integration. So wie im Kreis
um Dietrich von Hildebrand „gewisse Missverständnisse von evangelischer
Seite“ bedauert wurden, kritisierte Koch manche evangelische Christen für
ihr „Schielen nach dem Nationalsozialismus“. Er hielt Bundeskanzler Doll-
fuß zugute, dass er alles unternommen habe, um diese Ideologie – wie auch
den Marxismus – zu bekämpfen, und zeigte Verständnis für die immense
Schwierigkeit dieser Aufgabe. Für die Berufung von Vertretern der evange-
lischen Kirche in die vorberatenden Organe war er dankbar, und er bezeich-
nete es als gemeinsames Anliegen der katholischen und der evangelischen
Christen, gegen den „Geist der Entkonfessionalisierung“ der Schule vorzu-
gehen. Es sei nicht gut, dass manche Katholiken die Protestanten „in einer
Reihe mit dem Freisinn“ sähen: Hass gegen die jeweils andere Kirche dürfe
es nicht geben.204
Den Juden gegenüber herrschte eine zwiespältige Haltung, und zwar in
allen Lagern205; besonders in kleinbürgerlichen Kreisen der CSP waren die
seit jeher bestehenden Vorbehalte unauslöschlich.206 Ein gewisser Druck
kam aus Italien, wo man der Meinung war, durch Antisemitismus könne
dem Nationalsozialismus der Wind aus den Segeln genommen werden.207
Stellvertretend für das Denken vieler Zeitgenossen dürften die 1933 in der
SZ geäußerten Vorbehalte gegen die Übermacht der Juden sein, die vor al-
lem an Universitäten sowie in Presse und Kultur bestehe.208 Von „prakti-
203 stoeKl, Die evangelische Kirche, 14.
204 CS 13. 9. 1936 (J. E. Koch).
205 schmit, „Im Namen“, 143; tálos, Herrschaftssystem (2013), 474–487.
206 carsten, Faschismus, 263 f.; connelly, From Enemy, 106 f.; Gober, Schule, 64 f.; KöniGse-
der, Antisemitismus, 59–62; mittelmeier, Austrofaschismus, 105–108 und 112 f.; Payne,
Geschichte, 83; schweitZer, Volkstumsideologie, 84–86; tálos, Herrschaftssystem (2013),
459 und 471; wohnout, Bürgerliche Regierungspartei, 186 f.
207 maderthaner/maier, Der Führer, 66–68; mittelmeier, Austrofaschismus, 108–111.
208 SZ 24. 12. 1933 (J. messner); vgl. rathKolb, Erste Republik, 507 f.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN78
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580