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schem“209 bzw. „informellem Antisemitismus“210 zu sprechen, dürfte der Rea-
lität nahekommen.
Von den Mandataren ist allen voran Richard Schmitz als Antisemit ein-
zustufen, desgleichen Leopold Kunschak.211 Auch von Guido Zernatto gibt es
entsprechende Äußerungen.212 In manchen Publikationen der VF wurde an-
tisemitische Propaganda betrieben. Die Heimwehr zeigte in der Judenfrage
eine opportunistische Haltung.213 Bundeskanzler Schuschnigg unternahm
aktiv zwar nichts gegen die Juden, stattete 1937 sogar einem jüdischen Ju-
gendlager einen offiziellen Besuch ab214, unterband aber von anderer Seite
kommende Aktionen gegen sie in wenig entschiedener Weise.
Andererseits wurden offizielle Vertreter des österreichischen Judentums
in die staatlichen Lenkungsorgane berufen, und es gab keine explizit gegen
die Juden gerichteten Gesetze.215 Dies liegt daran, dass Antisemitismus ins
weltanschauliche Substrat des Ständestaates nicht passte und dass viele der
in Österreich so einflussreichen Emigranten aus Deutschland, allen voran
Dietrich von Hildebrand, jüdische Wurzeln hatten.216 So etwa wandten sich
Passagen aus dem Hirtenbrief der österreichischen Bischöfe von 1933 ge-
gen jeden Rassismus. Der Linzer Bischof Johannes Maria Gföllner hob die
Unvereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus hervor, hatte
zu den Juden allerdings ein ambivalentes Verhältnis.217 Der CS bezeich-
nete deren Verfolgung als eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte und
als unchristlichen Akt. 1936 sprach sich die Wochenschrift gegen die Aus-
richtung der Olympischen Spiele in Berlin aus, weil das Dritte Reich in der
Judenfrage eine repressive Politik betreibe.218 1937 verfassten katholische
Intellektuelle, darunter Dietrich von Hildebrand und Jacques Maritain, ein
Memorandum, in dem sie Katholizismus und Antisemitismus für unverein-
bar erklärten. Ihr Denken in dieser Frage war freilich nicht frei von Wider-
sprüchen.219 Der Amtskirche fiel insbesondere die Unterscheidung zwischen
209 KöniGseder, Antisemitismus, 55.
210 beller, A Concise History, 224.
211 connelly, From Enemy, 32.
212 schweitZer, Volkstumsideologie, 94 f.
213 madereGGer, Die Juden, 116–126; mittelmeier, Austrofaschismus, 114; schweitZer, Volks-
tumsideologie, 87–91.
214 Kindermann, Österreich, 80; mittelmeier, Austrofaschismus, 111 und 115 f.; zu Schusch-
niggs positiver Einstellung vgl. auch KöniGseder, Antisemitismus, 57.
215 tálos, Herrschaftssystem (2013), 473 f.
216 connelly, From Enemy, 101 f.
217 connelly, From Enemy, 30 und 58–61.
218 Kindermann, Österreich, 76–79; KöniGseder, Antisemitismus, 57 f.
219 connelly, From Enemy, 130–140, 152 f. und 170–172.
3.1 ÖSTERREICH 1918–1938 79
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580