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Antijudaismus und Antisemitismus nicht leicht.220 Mehr Akzeptanz fand das
nationale und religiöse Judentum, weniger das assimilierte. Für die Juden
sprach deren Wunsch nach Erhaltung Österreichs als unabhängiger Staat,
zudem ihr Lob der Habsburger und der katholischen Kirche als Säulen des
Österreichertums.221 Auch bejahten sie das ständische Prinzip, zeigten Sym-
pathien für den autoritären Gedanken und verurteilten die „Formaldemo-
kratie“ (Kap. 4.2).222 Stellvertretend für jene, die aus den genannten Grün-
den loyal zum Ständestaat standen, sei Sigmund Freud genannt.223
Politische Krisen der dreißiger Jahre
Das eigentliche Feindbild der Bundesregierung waren indes die National-
sozialisten und die Sozialdemokraten. Obwohl die Ersteren im Januar 1934
ihren Terror in Österreich intensivierten224, galt Letzteren mehr Aufmerk-
samkeit.225 Am 12. Februar 1934 forderten Kämpfe zwischen Mitgliedern
des Schutzbundes, der die in Gang befindliche Illegalisierung der Sozial-
demokratie nicht länger zu tolerieren bereit war, und der Regierung meh-
rere hundert Tote.226 Die katholische Kirche trug diese Politik weitgehend
mit227: Sie sei der Regierung „von unglücklichen Fanatikern aufgezwungen“
worden228, so die mit Blick auf die Befindlichkeit des Kanzlers („eine be-
sonders radikale Form politischer Panik“229) und den aus Italien kommen-
den Druck230 verständliche, wenn auch nicht zu teilende Deutung.231 In der
Folge wurde die Verfassung durch eine ständisch-autoritär ausgerichtete
ersetzt, die am 1. Mai kraft eines Ermächtigungsgesetzes verlautbart wurde
(Kap. 3.7).232
220 connelly, From Enemy, 96–99.
221 madereGGer, Die Juden, 67–69; tálos, Herrschaftssystem (2013), 78.
222 madereGGer, Die Juden, 88.
223 Payne, Geschichte, 308 f.
224 wohnout, Dreieck, 87 f.
225 tálos, Herrschaftssystem (2013), 49–53 und 283–285.
226 P. berGer, Kurze Geschichte, 165 f.; botZ, Gewalt, 246–258; maderthaner, 12. Februar,
175–183; Versuch, beide Seiten zu verstehen: GoldinGer/binder, Geschichte, 221.
227 ebner, Politische Katholizismen, 171 f.
228 v. hildebrand, Engelbert Dollfuß, 27.
229 KluGe, Ständestaat, 61.
230 weinZierl, Zeitgeschichte, 223–227.
231 dreidemy, Der Dollfuß-Mythos, 111; Konrad, Der 12. Februar 1934, 97 f.; rathKolb, Erste
Republik, 499 f.; wohnout, Bürgerliche Regierungspartei, 201; wohnout, Dreieck, 89.
232 brauneder, Verfassungsgeschichte, 234 f.; neGer, Verfassung, 45–48 und 69 f.; tálos/ma-
noscheK, Aspekte, 125 f. 3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN80
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580