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Auf Verständigungsversuche der Nationalsozialisten war Dollfuß nach
den Februarkämpfen nicht eingegangen233, umso mehr, als diese ja auch von
Seiten ehemaliger Schutzbündler einigen Zustrom hatten.234 Am 25. Juli
1934 verlor der Kanzler bei einem im Rahmen eines nationalsozialistischen
Putschs auf ihn verübten Attentat sein Leben.235 Die Annahme, dass der
Putsch zwar nicht aktiv von Berlin aus gesteuert, dort aber auch nicht be-
dauert wurde, ist naheliegend.236 Von Dollfuß’ Ermordung abgesehen, hatte
er dank des Widerstands des Heimatschutzes und des Bundesheeres237 kei-
nen nachhaltigen Erfolg.238
Kurt Schuschnigg, der Nachfolger des ermordeten Kanzlers, der sich –
trotz aller Unterschiede in der Persönlichkeit239 – als Fortsetzer von dessen
Politik verstand240, glaubte an die Zusammenarbeit mit dem „großen Reich“,
die Ideologie des Nationalsozialismus teilte er aber nicht.241 Nicht zufällig
wurde seine Bestellung daher gerade im Kreis um Dietrich von Hilde-
brand sehr begrüßt, der auch seinen besonnenen Charakter schätzte.242 In
Schusch
niggs Auftrag pflegte Friedrich Funder, ein Gegner der italienischen
Ausrichtung der Politik Österreichs, intensiven Kontakt mit Franz von
Papen, Hitlers seit dem 26. Juli in Wien tätigem Sonderbotschafter243, der
seinerseits auf die christlichsoziale Bewegung zählte.244
233 ross, Hitler, 175–184.
234 P. berGer, Kurze Geschichte, 171; zum Nationalsozalismus in Österreich vgl. carsten, Fa-
schismus, 236–242.
235 botZ, Gewalt, 266–275; GoldinGer/binder, Geschichte, 232–239; hoPfGartner, Schusch-
nigg, 115–122; Potočnik, Bewusstsein, 197–201; weinZierl, Zeitgeschichte, 229–231.
236 P. berGer, Kurze Geschichte, 175–177; bertolaso, Die erste Runde, 64–70; bracher, Na-
tionalsozialismus, 21; de felice, Breve Storia, 81; di nolfo, Rapporti, 71; friedl, Zusatz-
protokolle, 70; Kindermann, Hitlers Niederlage, 151–155; zu den Reaktionen in Berlin ross,
Hitler, 236–246; Dollfuß hatte bereits im Sommer 1933 einen von Deutschland aus ge-
steuerten Putsch in Österreich für möglich gehalten; Kindermann, Österreich, 186; für die
These der Steuerung des Putschs aus Deutschland: CS 24. 2. 1935 (H. mataJa), dagegen:
Gerhard Jagschitz und Fritz Wolfram (stourZh/Zaar, Österreich, 97 und 104) – und zuletzt
sehr vehement dreidemy, Der Dollfuß-Mythos, 35–43.
237 Zu diesem vgl. tálos, Herrschaftssystem (2013), 212–221.
238 carsten, Faschismus, 243–248; Kindermann, Österreich, 147, 221–227 und 244 f.
239 GoldinGer/binder, Geschichte, 239; KluGe, Ständestaat, 71.
240 hoPfGartner, Schuschnigg, 84, 120 und 136.
241 Zu seinem Begriff des Deutschtums vgl. K. schuschniGG, Requiem, 167–175; zur tiefen
welt
anschaulichen Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus ebd. 23 f.; GoldinGer/bin-
der, Geschichte, 288.
242 connelly, From Enemy, 116.
243 Potočnik, Bewusstsein, 204; zu seinem Stil carsten, Faschismus, 267; Kindermann, Öster-
reich, 233 f.
244 Pasteur, Kruckenkreuz, 205 f.
3.1 ÖSTERREICH 1918–1938 81
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580