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umfassende Reflexion, die – in einer in ihren Urteilen unsicher gewordenen
Zeit – allmählich Züge einer in sich geschlossenen Heilslehre annahm. An-
ders als Max Weber wollte er wissenschaftliche Fragen nicht von morali-
schen Werturteilen trennen.275 Sein Universalismus276 reagierte auf das
naturwissenschaftliche Weltbild und die in manchen Kreisen als theorielos
erachtete empirische Detailforschung.277 Von Platon übernahm er ein Modell
ständischer Gliederung der Gesellschaft, das nicht an der Basis, sondern an
der Spitze begann und aus diesem Grund dem Staat eine überragende Be-
deutung beimaß („Staatsstand“).278
Als einer der meistgelesenen Autoren seiner Zeit279, den viele Hörer in den
höchsten Tönen lobten280, prägte Spann einen großen Kreis von Schülern281;
mehrere von diesen besetzten in den dreißiger Jahren in Österreich politi-
sche Schlüsselpositionen282; auch Dollfuß bewunderte ihn. 283 Gertrud Spinn-
hirn adaptierte in ihrer 1936 an der Hochschule für Welthandel in Wien
approbierten Dissertation284 die Lehre Spanns bzw. seines Schülers Walter
Heinrich für den Teilbereich Landwirtschaft285 – übrigens die einzige Arbeit
mit ständetheoretischen Ansätzen aus weiblicher Feder. Großen Einfluss
übte er in den Reihen der Heimwehr.286
275 Kaltenbrunner, Europa, 384; Kremer, Staatsphilosophie, 6 f.; Pichler, Werk, 245; rassem,
Othmar Spann, 91 f.; sieGfried, Universalismus, 198.
276 Zur Kritik dieser Begrifflichkeit vgl. Kremer, Staatsphilosophie, 7.
277 diamant, Katholiken, 210; hanisch, Der lange Schatten, 329 f.; Kriechbaumer, Front, 20;
Pichler, Werk, 246; rassem, Othmar Spann, 90; resele, Ständestaatskonzeption, 10;
schneller, Zwischen Romantik und Faschismus, 10–15.
278 sPann, Der wahre Staat, 205; vgl. novotny, Der berufsständische Gedanke, 211; wohnout,
Regierungsdiktatur, 53.
279 Kaltenbrunner, Europa, 383 f.
280 Knoll, Der soziale Katholizismus, 14.
281 Vgl. mehrere der in Kap. 10.4 präsentierten Biogramme, insbesondere die der Mitarbeiter
der Zeitschrift StL; zu seinem Einfluss in Deutschland vgl. bohn, Ständestaatskonzepte, 6
und 33.
282 P. nolte, Ständische Ordnung, 241; resele, Ständestaatskonzeption, 43; F. schausberGer,
Letzte Chance, 114 f.; senft, Im Vorfeld, 105; sieGfried, Universalismus, 10 f.; wandrusZKa,
Struktur, 335–337; wohnout, Verfassungstheorie, 13–17; nach anderer Auffassung war
Spanns Einfluss unerheblich; novotny, Der berufsständische Gedanke, 211; P. huemer,
Entstehung, 578 f.
283 JaGschitZ, Dollfuß, 208; miller, Engelbert Dollfuß, 28.
284 Liberale und ständische Agrarpolitik. Unter besonderer Berücksichtigung des Problems der
Landflucht und seiner Lösung in der ständischen Ordnung.
285 sPinnhirn, Agrarpolitik, 7 f.
286 tálos, Herrschaftssystem (2013), 9; wohnout, Die Verfassung, 22.
3.2 GEISTIGE ANREGUNGEN AUS DEN FRÜHEN ZWANZIGER JAHREN 85
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580