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ersten Paneuropa-Kongress in Wien im Oktober 1926 hielt Seipel die Er-
öffnungsrede.325 Bundeskanzler Johann Schober stellte anlässlich eines Be-
suchs in Berlin im Februar 1930 fest, nationale Kreise in Österreich sähen
Paneuropa nicht gern; gleichwohl bestehe der Wunsch, Wien zum Mittel-
punkt dieser Idee zu machen.326 Nach Seipels Tod übernahm Dollfuß das Eh-
renpräsidium.327 Wissend, „dass Österreich ohne die Hilfe Europas verloren
war“328, erhoffte er sich von Coudenhove-Kalergis weit reichenden Kontakten
Unterstützung in seinen Bemühungen um die internationale Anerkennung
der Unabhängigkeit Österreichs.329 Von Kurt Schuschnigg hatte Coudenho-
ve-Kalergi mitunter den Eindruck, dieser engagiere sich zu wenig.330 1935
verfasste er ein Paneuropa-Testament in Form eines Briefes an den Kanz-
ler, in welchem er diesen für den Fall seines Ablebens als Nachfolger in der
Führung der internationalen Paneuropa-Bewegung wünschte. Es ist nicht
überliefert, ob der Adressat von diesem Schreiben jemals Kenntnis erhielt.331
Belegt ist aber, dass Schuschnigg – wie schon Dollfuß – Anträge auf Ver-
leihung des Friedensnobelpreises an Coudenhove-Kalergi befürwortete332,
weil die Paneuropa-Bewegung für Österreich identitätsstiftenden Charak-
ter habe. Auch die Mitglieder der vorberatenden Organe zeigten großes
Engagement.333 1935 wurde im Haus der Bundesgesetzgebung eine Pan-
europäische Wirtschaftszentrale eröffnet. Am vierten Paneuropa-Kongress
im Mai334 nahmen u. a. Alois Schönburg-Hartenstein, Florian Födermayr,
Carl Vaugoin und Eduard Ludwig teil335, Letzterer einer der wichtigsten
Repräsentanten der Paneuropa-Bewegung in Österreich.336 1936 fand eine
Delegiertenversammlung mit Neuwahl des Ausschusses statt. Das Ehren-
präsidium bildete fast die gesamte Bundesregierung, dazu Friedrich Funder
und die Landeshauptleute Josef Reither, Franz Rehrl und Karl M. Stepan.337
Richard Coudenhove-Kalergi, 293; Kindermann, Konservatives Denken, 216; wandrusZKa,
Struktur, 330; ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 171.
325 Gehler, Der lange Weg 1, 29; Gehler, Europa, 125.
326 ADÖ 7/1007.
327 Gehler, Der lange Weg 1, 53; 2, 63; Gehler/ZieGerhofer, Richard Coudenhove-Kalergi, 297.
328 Zit. nach Gehler/ZieGerhofer, Richard Coudenhove-Kalergi, 296.
329 ZieGerhofer-Prettenthaler, Europäische Christdemokraten, 588 f.
330 Gehler, Der lange Weg 1, 57; ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 259 f.
331 ZieGerhofer-Prettenthaler, Europäische Christdemokraten, 592.
332 ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 65 f.
333 An einer Kundgebung im Jahr 1935 nahmen u. a. Florian Födermayr, Carl Vaugoin, Alois
Schönburg-Hartenstein und Eduard Ludwig teil; Gehler, Der lange Weg 1, 56.
334 ZieGerhofer-Prettenthaler, Europäische Christdemokraten, 590.
335 Gehler/ZieGerhofer, Richard Coudenhove-Kalergi, 298 f.
336 N. schausberGer, Österreich, 294.
337 ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 266–268.
3.2 GEISTIGE ANREGUNGEN AUS DEN FRÜHEN ZWANZIGER JAHREN 89
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580