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nicht verstanden worden.355 Vogelsang lehnte den Kapitalismus ab, den er
mit Judentum, Liberalismus und Sozialismus in Zusammenhang brachte. Er
verstand darunter allerdings nicht ein bestimmtes Wirtschaftssystem, bei-
spielsweise die Marktwirtschaft, sondern eine Form des Egoismus, die ver-
antwortliches Handeln im christlichen Sinn nicht zulasse und zum Kampf
aller gegen alle führe, eine Auffassung von Besitz als Selbstzweck. Ursache
dieser Fehlhaltung sei das Fehlen basaler Ordnungskriterien.356 Der Sozia-
lismus war für ihn die Umkehrung des Darwinismus, daher der sichere Weg
zum Klassenkampf.357 Als Alternative schwebte ihm ein auf dem Naturrecht
(Kap. 5.4) beruhender adlig-klerikaler Sozialkatholizismus vor.358 1850 kon-
vertierte er zum Katholizismus.359
Zu seinen Mitarbeitern hatte der Aristokrat ein personales Verhältnis,
anders als in den Fabriken, entsprechend der Forderung, die Beziehung zwi-
schen Unternehmer und Arbeiter sollte nicht nur rechtlich, sondern auch
sittlich geordnet sein.360 Für ihn war es undenkbar, die feudale Ordnung mit
unmenschlicher Ausbeutung gleichzusetzen.361 Er übernahm von dieser auch
nicht das geburtsständische Modell, sondern forderte ein berufsständisch-ge-
nossenschaftlich geordnetes Gemeinwesen.362 Die Gesellschaft wünschte er
sich organisch gegliedert, nicht als die gestaltlose, durch einen künstlichen
Beamtenmechanismus gesteuerte Masse.363 Das Proletariat sollte von der Ge-
sellschaft „aufgesaugt“, zu einem organischen Bestandteil derselben werden.364
Die Stände waren für ihn ein bunter Fächer, entstanden aus den diversen be-
ruflichen Qualifikationen.365 Für den Tüchtigsten sah er Möglichkeiten, traditi-
onelle Schranken zu durchbrechen, die Masse aber müsse auf einem mittleren
ökonomischen Niveau gehalten werden.366 Konservativ zu sein war für ihn eins
mit dem Wirken für eine Umgestaltung der Gesellschaft zum Besseren.367
355 CS 8. 4. 1934 (W. v. KloPP).
356 bader, Der Friede, 214 f.; bader, Karl Lugmayer, 22 f.; hanisch/urbanitsch, Prägung, 67 f .;
meyer, Stand, 216; roos, Entstehung, 105 f.
357 hasiba, Der berufsständische Gedanke, 107; iber, Vom Syllabus, 15; senft, Im Vorfeld, 57;
streitenberGer, Leitbild, 95.
358 bader, Christliche Sozialreform, 155–157; brucKmüller, Sozialgeschichte, 338; schmit,
Christliche Arbeiterbewegung, 24.
359 hanisch, Konservatives und revolutionäres Denken, 73–77.
360 bader, Die geistige Grundlegung, 168.
361 bader, Die geistige Grundlegung, 148–152.
362 bader, Die geistige Grundlegung, 163; ebneth, Wochenschrift, 156; meyer, Stand, 217 f.
363 iber, Vom Syllabus, 17.
364 allmayer-becK, Vogelsang, 139.
365 allmayer-becK, Vogelsang, 146.
366 hanisch, Konservatives und revolutionäres Denken, 198.
367 bader, Christliche Sozialreform, 153.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN92
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580