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übermächtig, und sie wurden in Gestalt des sogenannten Syndikalismus
umgesetzt. Spektakulär war ein Verfassungsentwurf von Gabriele d’Annun-
zio von 1920 für den von ihm ausgerufenen Freistaat Fiume, der die Gliede-
rung der Gesellschaft in autonome Korporationen vorsah. Diese Idee mün-
dete in eine Beschränkung der Kompetenzen des Parlaments.516
1921 von der Bewegung zur Partei geworden (PNF), waren die Faschisten
seit dem Marsch auf Rom (27.–31. Oktober 1922), in dessen Folge Musso-
lini zum Ministerpräsidenten ernannt wurde, die beherrschende politische
Kraft in Italien. Im Dezember 1922 schuf der Duce mit dem Faschistischen
Großrat eine leitende Exekutive unter seiner Führung.517 Bei den Wahlen
vom 5. April 1924 erhielt seine Partei mithilfe eines manipulierten Wahlge-
setzes fast zwei Drittel der Mandate.518 In der Wertordnung seines Regimes
stand der mit der Nation gleichgesetzte Staat obenan; die Gesellschaft sollte
permanent mobilisiert und politisiert werden.519 1925 bezeichnete Mussolini
sein Regime als „totalitär“.520 In den folgenden Jahren arbeitete sich die Par-
tei in einer Art Gleichstellungsprozess immer weiter in die Gesellschaft und
in die staatlichen Institutionen vor.521
Eine der tragenden Säulen des italienischen Faschismus neben Staat und
Partei war das Korporativsystem, das durch Kooperation von Arbeitgebern
und Arbeitnehmern unter staatlicher Schirmherrschaft Klassengegensätze
abbauen und die Produktion besser kontrollierbar machen sollte.522 Sein
Aufbau begann 1926523 unter der Federführung des damaligen Justizminis-
ters Alfredo Rocco524, der sich 1925 für eine staatliche Kontrolle des Gewerk-
schaftswesens ausgesprochen hatte. Seither hatten die faschistischen Orga-
nisationen das Recht auf Alleinvertretung der Arbeitnehmer.525 Durch ein
Gesetz vom 3. April 1926 wurden zwölf sogenannte Syndikate errichtet.526
516 mayer-tasch, Korporativismus, 84– 87; J. reiter, Entstehung, 114–116.
517 bauerKämPer, Der Faschismus, 58; Payne, Geschichte, 137 und 147 f.; wiPPermann, Europä-
ischer Faschismus, 27–30; wiPPermann, Faschismus, 39 f.; woller, Geschichte, 95–97.
518 bauerKämPer, Der Faschismus, 59; wiPPermann, Europäischer Faschismus, 31 f.; woller,
Geschichte, 97 f.
519 bauerKämPer, Der Faschismus, 54; woller, Geschichte, 99.
520 Der Liberale Giovanni Amendola hatte diesen Begriff bereits im Frühjahr 1923 für die
faschistische Herrschaft verwendet; bauerKämPer, Der Faschismus, 60; Payne, Geschichte,
161; scholZ, Italienischer Faschismus, 2.
521 woller, Geschichte, 101–104.
522 woller, Geschichte, 108 f.
523 Zu den Details vgl. mittelmeier, Austrofaschismus, 118–123.
524 G. KlemPerer, Konzepte, 39 f.; Payne, Geschichte, 92; J. reiter, Entstehung, 18; zu Roccos
Denken vgl. GoetZ, Intellektuelle, 67–76 und 103 f.
525 mayer-tasch, Korporativismus, 90 f.; J. reiter, Entstehung, 91.
526 bauerKämPer, Der Faschismus, 61; J. reiter, Entstehung, 92 und 145.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN108
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580