Seite - 141 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 141 -
Text der Seite - 141 -
möglichen Sturz des Faschismus in Italien im Raum, von dem Hitler profi-
tieren würde.837
Diese Furcht nahm in den folgenden Jahren zu: Je mehr die nationalso-
zialistische Bedrohung wuchs, umso lauter wurde in Österreich die Kritik
an einem vermeintlich leichtfertigen Umgang mit dem Begriff „Faschismus“
in abschätzigem Sinn. In Italien sei dadurch ein liberal-parlamentarisches
System abgelöst und stattdessen einer „hohen Wertung der Persönlichkeit
und dem politischen Realismus“ der Boden bereitet worden. Im Grunde
stehe Mussolini in der konservativen Tradition, auch wenn diese in Ita-
lien aus historischen Gründen nicht „in reiner Form“ verwirklichbar sei.
Gemeint war: nach in Österreich nachvollziehbaren Mustern. Aber die auf
den Heimatschutz ausgehenden Einflüsse müssten befürwortet werden. An-
ders als der Nationalsozialismus erhebe der italienische Faschismus nicht
den Anspruch, eine „verbindliche Weltanschauung und Religionsersatz“ zu
sein – geschweige denn, dass man ihn als totalitär bezeichnen könnte.838 Die
Vertreter derartiger Positionen verschlossen sich der realen politischen Ent-
wicklung Italiens nach dem Abessinienkrieg, die eine Radikalisierung mit
sich brachte – einschließlich rassistischer Ansätze.839
Den Lateranverträgen versuchte der CS ebenfalls positive Aspekte abzu-
gewinnen: Dass Mussolini kein „Religionsstifter“ sei, wusste man; das Kon-
kordat habe er, das „tiefkatholische Wesen“ des Landes erkennend, aus re-
alpolitischen Überlegungen geschlossen, um nicht durch einen Kulturkampf
Kräfte zu vergeuden.840 Das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche
wurde damit begründet, dass sich die Kirche als Verwalterin universaler
Werte für die Frage nach dem politischen System nicht zuständig fühle. So
konnte das Konkordat als ein Akt der „Staatsklugheit“ und als „Kulturtat
erster Ordnung“ gewürdigt werden. Gleichsam zur Ehrenrettung des Duce
wurde sein Bruder Arnaldo Mussolini wohlwollend erwähnt, ein überzeugter
Katholik und Gründer der Schule der faschistischen Mystik in Mailand.841
Auch in Hinblick auf die Außenpolitik, so der CS, gingen vom Faschismus
nicht annähernd die Gefahren aus, die vom Nationalsozialismus zu erwar-
ten seien: Jener enthalte per se eine europäische Komponente und sei daher
zur „außenpolitischen Mäßigung“ gezwungen, während dieser die Funda-
mente jeder internationalen Zusammenarbeit negiere. Zwar bekenne sich
der Faschismus zur Einheit von Staat und Nation, aber er bedrohe nicht in
837 CS 27. 10. 1935 (N. heinrich).
838 CS 11. 7. 1937 (W. böhm).
839 woller, Geschichte, 153–161.
840 CS 11. 7. 1937 (W. böhm).
841 CS 24. 10. 1937.
3.5 DIE NACHBARSCHAFT DES FASCHISTISCHEN ITALIEN 141
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580