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derselben Weise wie der Nationalsozialismus die Interessen seiner Nach-
barn.842
Waren bisher eher pragmatische, aus dem CS (im Licht der Entwicklung
in Deutschland) auch teilweise positive Stellungnahmen zu referieren, so
zeigt ein Blick in andere katholisch-konservative Blätter vornehmlich Ableh-
nung. Im NR erschien 1924 anlässlich von Mussolinis Erfolg bei den Wah-
len ein skeptischer Kommentar zur politischen Kultur Italiens, zu der auch
gewaltsame Exzesse der Faschisten gehörten.843 1925 berichtete dasselbe
Blatt, dieses Land stehe noch immer im Zeichen der Revolution; zwar seien
Mussolinis für Bestimmtheit bürgende Maßnahmen nicht insgesamt abzu-
lehnen, aber dass er sich an die „alte Ordnung“ nicht gebunden fühle, sei
ihm gleichermaßen anzulasten wie sein schwieriges Verhältnis zur Kirche.844
Ein anonymer Verfasser beurteilte Mussolinis 1925 getroffene Maßnahmen
gegen die Freimaurerei kritisch, weil sie nicht einer katholischen Grundein-
stellung, also prinzipiellen Überlegungen, sondern solchen der politischen
Opportunität geschuldet seien.845 Drei Jahre später griff im selben Ton auch
Aemilian Schöpfer Mussolinis Verhältnis zur katholischen Kirche auf, aber
auch sein kluges Entgegenkommen gegen dieselbe, das die Massen zufrie-
denstelle. Er legte dem Duce zwar einen kirchenfeindlichen Kurs und eine
Überbewertung des Staates zur Last, lobte aber seine gegen Kommunismus
und Sozialismus gerichtete Politik und die Effizienz mancher Strukturen.846
1929 kommentierte der Prälat die Unterzeichnung der Lateranverträge:
Mussolinis aus diesem Anlass gehaltene Rede habe Mangel an theologischer
Bildung sowie Überheblichkeit und eine unhaltbare „Staatsvergötterung“
sichtbar gemacht.847 Die Reaktion von Papst Pius XI. zeige, dass die Staats-
lehre des italienischen Faschismus und die göttliche Autorität der Kirche
einander unversöhnlich gegenüberstehen.848
Nicht minder wichtig waren dem NR wirtschaftliche Themen. In den Jahren
1926, 1927 und 1930 stellte es seine Seiten dem italienischen Gewerkschaf-
ter Giambattista Valente zur Verfügung, einem Kritiker des Faschismus, der
dessen subtile Mechanismen durchschaut hatte: Viele Italiener, schrieb er,
glaubten, im Faschismus die nationale Würde wiedererlangt zu haben, und
dies verleihe ihnen moralische Stärke. Viele sprächen aber auch von einer
Überschätzung des Staates. Den Kampf des Faschismus gegen die liberale
842 CS 7. 6. 1936 (N. dohrn).
843 NR 23. 8. 1924 (K. inthal).
844 NR 9. 5. 1925 (K. inthal).
845 NR 29. 8. 1925.
846 NR 2. 6. 1928 (Ae. schöPfer).
847 Vgl. Payne, Geschichte, 270.
848 NR 25. 5. 1929 (Ae. schöPfer). 3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN142
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580