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ten Vorbehalte gegen die Ideale von 1789) nicht der Blick dafür, dass Mus-
solinis Vorgangsweise mitunter rücksichtslos war. Auch den vom Duce
geforderten Primat der Verwaltung vor der Gesetzgebung, der den Rechts-
staat erschüttere, konnte er nicht gutheißen, ebenso wenig den Umstand,
dass Syndikate und Korporationen hinter die Partei zurücktreten müssten:
Obwohl Mussolini den Willen zum Ausbau des Ständestaates beweise, sei
Italien noch weit davon entfernt, ein solcher zu sein. Diesbezüglich habe Ös-
terreich viel mehr erreicht; insbesondere den Grundsatz der Staatsomnipo-
tenz kenne die Republik nicht, und, anders als in Italien, werde QA ernst
genommen.854 Adolf Wanschura benannte die Mängel der Syndikate und
Korporationen: Erstere könnten aufgrund der Trennung von Arbeitgebern
und Arbeitnehmern allenfalls als Ansatz zu einer berufsständischen Ord-
nung gewertet werden, das Konzept der Letzteren hingegen widerspreche
diesem Gedanken, weil sie als staatliche Organe das Subsidiaritätsprinzip
außer Kraft setzten. Insgesamt erfülle das italienische System die Forderun-
gen von QA nicht.855
1935 analysierte Heinrich Getzeny den Einfluss des französischen Sozi-
alphilosophen Georges Sorel, eines der Vordenker des Syndikalismus856, auf
Mussolini. Die Aspekte, auf die er besonders einging, ergaben ein Bild der
Ablehnung: Antiintellektualismus, Mythos der Gewalt, Verbindung von re-
volutionärem Sozialismus und revolutionärem Nationalismus. Zwar sei So-
rel ein Revolutionär aus konservativer Gesinnung gewesen, der den 1789
eingeleiteten Zerfall der alten Ordnungen, auch der Familie, und der sozia-
len Autoritäten bedauert habe, er habe aber nicht verhindern können, dass
nunmehr die Enkel „im Geist der Großeltern gegen die Eltern“ kämpften,
ihre Sache aber nicht „mit der natürlichen Selbstverständlichkeit der Groß-
eltern“ verträten.857
Eindringlich entlarvte auch Herbert Stourzh den Faschismus als men-
schenverachtende Ideologie; nicht minder verurteilte er den Nationalsozia-
lismus. Er sprach von „Abtrünnigkeit“ vom deutschen Geist und von einem
„Angriff gegen die menschliche Kultur überhaupt“; er sei die „Weltanschau-
ung eines Haufens Halbgebildeter“, der schon vor Hitlers Machtergreifung
durch Gewalt verherrlichendes Schrifttum, darunter Houston Stewart
Chamberlain, der Boden bereitet worden sei.858 Daher befürwortete er die
Ziele des österreichischen Ständestaates, ohne jedoch zu dessen Establish-
854 CS 14. 1. 1934 (R. stanKa).
855 CS 29. 4. 1934 (A. wanschura).
856 Vgl. dazu J. reiter, Entstehung, 24.
857 SZ 4. 8. 1935 (H. GetZeny).
858 CS 2. 6. 1935 (H. stourZh). 3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN144
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580