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Zu Fragen der Gesellschaft zitierte die MSchKP 1937 mit sichtlicher Di-
stanz eine faschistische Programmzeitschrift, der zufolge die menschlichen
Beziehungen nicht zwischen Einzelpersonen, sondern zwischen diesen und
höheren Gemeinschaften wie Familie, Partei, Gewerkschaft bestünden.867
Ein im selben Jahr erschienener Bericht über eine Deutschlandreise Mus-
solinis erhielt den vielsagenden Titel Politisches Schaugepränge: Der Emp-
fang, bei dem die Filmtechnik entscheidend mitgewirkt habe, zeige, dass
Diktatoren „den Glanz als Spiegel ihrer Macht“ liebten; er sei in höherem
Maß von psychologischem als von politischem Interesse.868 Im Gegensatz
dazu war die SZ voll des Lobes für die „kluge und vorausschauende“ Film-
politik des italienischen Faschismus, der das Kino zu einer Volksbildungs-
stätte machen wolle.869
Die Stimmen, die Mussolinis Staat grundsätzlich guthießen, stammten
zum größeren Teil nicht direkt aus Österreich. Der Bezug zu diesem Land
ergibt sich aber durch die Person Othmar Spanns, des Herausgebers der
in Berlin erscheinenden Zeitschrift StL, die 1931–1937 die Entwicklung in
Italien mit Interesse verfolgte. Die Rezeption der Gedanken dürfte vorwie-
gend in Deutschland erfolgt sein, aber in Österreich war das Blatt ebenfalls
verfügbar. Die Mehrzahl der Mitarbeiter hatte ihren Lebensmittelpunkt in
Deutschland, es kamen aber auch Österreicher zu Wort. Soweit die Curri-
cula rekonstruierbar sind (Kap. 10.4), fällt in mehreren Fällen eine intellek-
tuelle Sozialisation in beiden Ländern auf. Zahlreich vertreten waren Schü-
ler Spanns bzw. ihm nahestehende Personen, darunter sein Sohn Rafael.
Von den Mandataren des Ständestaates publizierte im StL nur Richard Ker-
schagl, der im italienischen Faschismus die ideale Verwirklichung von QA
sah.870
1931 nahm Rafael Spann eine Rede Mussolinis vom 27. Oktober 1930
zum Anlass, den Übergang des Faschismus von einer Bewegung „zu einer
theoretisch begründeten staatstragenden Körperschaft“ zu beschreiben.
Ausgehend von den schweren, den liberalen Regierungen vor dem Ersten
Weltkrieg angelasteten sozialen Problemen Italiens würdigte er die faschis-
tische Neugestaltung im Sinn einer ständischen Gliederung des Volkes.871 In
einem späteren Heft desselben Jahrgangs erschien aus Rafael Spanns Feder
eine Sammelanzeige faschistischer politischer Literatur: Diese zeige, dass
867 MSchKP 2, 579.
868 MSchKP 2, 918.
869 hofer, Joseph Eberle, 300.
870 KerschaGl, Die Quadragesimo anno, 29– 35; zur Kritik an Kerschagls Werk vgl. wohnout,
Verfassungstheorie, 169, Anm. 149, und 341; B. dachs, Richard Kerschagl, 28 f.; senft, Im
Vorfeld, 101.
871 StL 1931, 49–51 (R. sPann). 3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN146
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580